Sunday 23 January 2011

Portrait von Marcie... einer schönen Seele

Als Marcie bei Peaceful Prairie Sanctuary (1) ankam, hatte sie schon alles verloren – ihre Freiheit, ihre Gemeinschaft, ihre Familie, ihre Jugend, jedes Lamm, das sie jemals gehabt hatte, alle, für die sie jemals etwas gefühlt, alle, denen sie jemals vertraut hatte, alles, was ihr vertraut gewesen war.

Sie erreichte diese neue Welt mit nichts außer – für die kurze Zeit, bevor sie erblindete –, der Fähigkeit, mit ihren eigenen Augen dieses unwahrscheinliche Land der offenen Ausblicke, des weiten Himmels, freien Bewohner und Menschen, die ihnen Leben wünschten, zu sehen, dieses freie Land, das Milliarden gefangen gehaltener Tiere nie erleben werden und nachdem sie doch alle in allen Fasern bis zum letzten Atemzug sich verzehren. Und vielleicht sah sie all dies mit der Fähigkeit, zu glauben, was sie sah. Wie alle Nutztiere wurde Marcie nicht durch das bestimmt, was da war, sondern durch das, was fehlte – die sichtbaren und unsichtbaren Amputationen eines Lebens in Sklaverei – verstümmelter Körper, gebrochener Geist, verwundete Seele, ungelebtes Leben, die Fähigkeit, Schmerzen zu empfinden, voll bis zum Rand, die Fähigkeit, sich zu freuen, gänzlich unerfüllt. In den Jahren ihrer Gefangenschaft auf einem kleinen Bauernhof, wo sie wiederholt mitansah, wie ihre Lämmer getötet wurden, war ihr schon so viel genommen worden, dass, als sie gerettet und zu einem Ort gebracht wurde, wo sie endlich ihr Leben beginnen konnte, es nicht mehr viel gab, worauf ein Leben aufbauen konnte.

In ihrem ersten Jahr auf dem Lebenshof, als sie noch sehen konnte, floh sie vor jedem, der aussah wie die, die sie misshandelt hatten – vor jedem Menschen in der Nähe – und für den Rest ihres Lebens vermied sie jeden, der aussah wie sie – jedes Mutterschaf, jeden Widder, jedes Lamm. Sie ''versteckte'' ihr großes, schönes, wogendes Selbst unter den Ziegen, auffallend schafhaft bummelnd inmitten des Schwalls schneller, schlanker, hagerer, leichtfüßiger Ziegen, sicher in dem Glauben, gut getarnt zu sein unter diesen Wesen, die in nichts aussahen, klangen, sich bewegten, sich verhielten wie sie selbst. Sie zog mit ihnen umher, suchte Futter, kampierte mit ihnen, ignorierte die Tatsache, dass sie, nach jedermanns Meinung außer ihrer eigenen, schlecht zu ihr passten – zu schnell, rowdyhaft, mutwillig, frech, unberechenbar für sie –, und vergab ihnen ihre vielen Vergehen, wie die Male, wenn sie sie zurückließen, weit draußen auf dem Feld, ihre Ortungsrufe ignorierten und ohne sie heim gingen. Aber aus Gründen, die dem für sie standhielten, blieb sie ihnen unbeirrbar loyal für den Rest ihres Lebens. Was auch immer Marcie in den Ziegen sah, von ihnen lernte, von ihnen empfing, es war klarerweise etwas, das sie brauchte. Wir machten Witze darüber, dass sie dächte, sie sei eine Ziege. Aber eher war das Gegenteil zutreffend: was sie zu den Ziegen hingezogen sein ließ, war nicht eine vorgestellte Ähnlichkeit, sondern der wahrgenommene Unterschied. Sie schien jemand sein zu wollen, der ihr völlig unähnlich war, ein ganz anderer, ungleich dem ohnmächtigen Opfer, das sie ihr Leben lang gewesen war.

So schloss sie sich den Ziegen an und teilte ihre tiefsten Momente des Friedens mit ihnen. Du konntest sie mit ihnen in der Sonne ruhen sehen, in einem tranceähnlichen Zustand, beinahe feierlich, als ob sie gemeinsam einer großartigen Symphonie lauschten, und in der Tat taten sie gerade dies: dem Rauschen der Blätter im Frühling lauschen, dem Rascheln von Insektenflügeln, dem über die Fläche des Teichs huschenden Wind, den Duft des Windes kostend. Solche Momente des Friedens teilte sie mit den Ziegen. Aber in den Momenten der Traurigkeit und des Kummers war sie allein. Und sie hatte Momente tiefer Traurigkeit, einige ausgelöst durch unsichtbare Erschütterungen, andere durch Ereignisse, die sogar wir sehen und verstehen konnten, wie etwa die Zeiten, wenn der Geruch neugeborener Lämmer, ihren Müttern entrissen und auf einem Nachbarhof geschlachtet, die Luft erfüllte und den alten Schmerz in ihr wachrief, einen Schmerz, den die Zeit nicht schmälerte, sondern der in jedem Frühling neue Dornen zu tragen schien. Das waren die Zeiten, wenn sie meistens davonzog, getrennt von ihrer adoptierten Herde, sich verirrte und in ihrer Blindheit unfähig war, nach Hause zu finden. Da die Gegenwart von Menschen sie in Schrecken versetzte, bestand die einzige Möglichkeit, sie nach Hause zurückzulotsen, für uns darin, die Ziegen zu rufen in der Hoffnung, dass sie antworten würden, laut genug für Marcie, sie zu hören und dem Laut zur Herde zurück zu folgen. Den Ziegen vertraute sie, aber Menschen erweckten in ihr nichts als Grauen – das Grauen, an das sie sich erinnerte, und das Grauen, das sie von unserer Hand zu erfahren erwartete.

Wir verstanden ihre Furcht und gaben uns große Mühe, nicht in den Raum, in dem sie sich sicher fühlte, einzudringen. Was wir nicht verstanden, damals, und bis heute nicht völlig verstehen, ist, warum sie sich entschied, die körperliche und emotionale Distanz zwischen uns zu verringern und jeden Tag ein kleines Stück näher an uns heranzukommen, bis es keine Distanz mehr gab, bis unsere Nasen sich buchstäblich berührten. Sie erhielt nichts zusätzlich durch unsere Nähe. Nichts, was sie nicht schon reichlich erhalten hatte, als sie uns mied – Futter, Unterkunft, Freunde, Leckereien waren alle leicht erreichbar für sie, ob sie uns akzeptierte oder nicht. Warum also entschied sie sich, uns zu vertrauen, wenn ihr Leben lang Menschen ihr unsagbar Grausames zugefügt hatten, um des Geschmacks des Fleisches ihrer Kinder willen, um eines Flecken Lammfells, einer Handvoll Wolle willen? Warum ertrug sie unsere Nähe, wenn sie uns doch ebenso leicht hätte ignorieren können?

Es ist schwer zu sagen. Tatsache ist aber, dass sie uns nicht nur akzeptierte, sie suchte uns auf. Wenn einer von uns ihrer Einschätzung nach sich zu lange im Haus aufgehalten hatte, klopfte sie mit ihrem Huf an die Tür und rief uns heraus. Wir kamen jedes Mal heraus, mit Leckerli in der Hand – weil es das war, wie wir annahmen, was sie wollte. Und für den Rest ihres Lebens ''drillte'' sie uns so, auf die Veranda zu kommen, mehrmals täglich. Dann, in ihrem letzten Jahr bei uns, erweiterte sie ihr Wachehalten bis in die Nacht. Sie begann damit, auf Chris zu warten,sich auf der Veranda postierend, ruhig, geduldig wartend, solange es dauerte – bis Mitternacht, bis zum folgenden Morgen, bis Chris sicher von der Arbeit zurück war. Sie wartete, ohne zu klagen, ohne um Leckerli oder Aufmerksamkeit oder Gesellschaft zu bitten oder um irgendeinen der Genüsse, die, wie wir dachten, sie dazu motivierten, jeden Nachmittag an die Tür zu klopfen. Sie verankerte sich einfach an der Haustür und hielt ihre einsamen spät-nächtlichen Wachen, entfernt von der Sicherheit ihrer Herde, entfernt von ihrer Unterkunft, unter offenem Himmel. Und nichts konnte sie dazu bewegen zu weichen – nicht Butos ungestümes Bellen, nicht die beunruhigende Entfernung von den Ziegen, nicht der Regen, nicht der Schnee, kein Gewitter. Sie stand da wie eine gute Mutter, verkeilt zwischen Himmel und Erde, mit einer Mischung von Mut, Vertrauen, Erwartung, Hoffnung und Resignation, ihr massiger Körper fest verankert zwischen der großen, bösen, gefahrvollen Welt und dem Heim ihres auserkorenen Schützlings und sie rührte sich nicht vom Fleck, bis Chris sicher zuhause war. Erst dann erhob sie sich schließlich, verließ die Veranda und schlenderte zu ihrem Stall, um dort den Rest der Nacht zu verbringen, im Genuss des verlässlichen Zeugnisses, dass Chris und Michele beide am Leben und gesund waren.

Es war kein ''Plan''. Es war eine viel einfachere, viel weisere, viel tiefer gefühlte Wahrheit. Marcie wünschte uns Leben. Sie verlangte, mehrmals am Tag, den Leckerli-in-der-Hand-Beweis dafür, dass es uns gutging, und sie bewachte die Veranda in der Nacht, bis sie sicher war, dass ihre beiden Menschen lebendig und gesund waren. Es war nicht schwer zu verstehen. Was die meisten von uns vielleicht niemals verstehen werden, wie Marcie ihren Peinigern so vollständig vergeben konnte, dass sie Angehörigen der menschlichen Sippe nahe sein wollte.

Joanna Lucas, ''Portrait of Marcie … A Beautiful Soul''; geringfügig geänderte Fassung

(1) Gnadenhof

Sunday 26 December 2010

Petunia lieben

Chris.liebt Petunia. Sie wurde auf einer Schweinefarm geboren. Eine der Millionen Unschuldigen, die jedes Jahr in ein Leben von Misshandlung und Erniedrigung gezwungen werden, denen mit Worten, Blicken und Berührungen jede Minute ihres tristen Lebens gezeigt wird, dass sie verächtlich sind, hässlich, schmutzig, widerwärtig, unwert, geliebt zu werden, und unwert zu leben und dass sie deshalb die Verstümmlungen, Schläge, Entbehrungen, die Quälereien und Schrecken verdienen, die wir auf ihre seufzenden Leiber häufen im Namen unseres Vergnügens, worin immer dieses Vergnügen bestehen mag – Schinken, Speck, Hotdogs, Handtaschen, Punchingbälle, Hundeleckerchen.

Als Ferkel wurde Petunia den routinemäßigen Verstümmlungen von Schweinen unterzogen – Schwanzkürzen, Kupieren der Ohren, Abschleifen der Zähne –, als Jugendliche wurde sie von Teenagern gejagt, verhöhnt und gequält, als Erwachsene von ihren Haltern hungern gelassen, vernachlässigt und misshandelt. So ist es keine Überraschung, dass Petunia heute Kontakt vermeidet, ihre Grenzen verteidigt, sich rau verhält, niemandem vertraut. Es ist keine Überraschung, dass die Gegenwart anderer sie beunruhigt und dass sie, die andauernd wehrlos und abhängig gehalten worden war, sich nach einem Raum sehnt, den sie kontrollieren kann.

Was überrascht, ist die Erkenntnis, dass Petunias Wahl, sich abzuschotten, nicht die Folge der Misshandlungen ist, die sie erduldete, sondern einfach ihre natürliche Begabung. Ihre Fähigkeit, sich nach innen zu flüchten, die gewaltsame Welt aus- und ihr verletzliches Selbst sicher einzuschließen, ist es, was sie die dunklen Zeiten überleben ließ. In Einsamkeit ist es auch, wo sie sich entspannt, sich erholt, Erlebtes verarbeitet, lernt. Sie findet Gefallen an der Gesellschaft ihrer selbst, vermutlich weil sie sich ihrer eigenen Gefühle mehr als die meisten bewusst ist – was eine reiche, interessante, Einsamkeit ermöglicht, einen Raum, der es wert ist, aufgesucht, verteidigt zu werden, wert, zu ihm zurückzukehren.

Was immer sie hört, sieht, fühlt, welche feinen Schwankungen in Stimmung und Bewusstsein sie um sich herum spürt, kann, so scheint es, nur ohne Einmischung von außen wahrgenommen werden, in der ruhigen Umgrenzung eines abgelegenen Schlammlochs, in einem leeren Schuppen, in offenem Feld. Als ruhig nehmen freilich die wenigsten von uns Petunia; für die meisten von uns ähnelt sie mehr einem Minenfeld: scheinbar ruhig und harmlos, aber plötzlich gefährlich explosiv. Geh weiter auf eigene Gefahr; betrete Petunias persönlichen Raum und sie droht. Komm näher und sie stößt und schubst. Beißt. Lass sie in Frieden und niemand wird verletzt.

Nur in den Zeiten der Rastlosigkeit verlässt sie freiwillig ihre einsame Welt. Dies sind die Zeiten, wenn das Futter fade schmeckt und das Wasser schal, wenn das Strohbett sticht, wo es sonst ein sanftes Lager war, wenn die Schlammlöcher einfach nur schlammig sind und die übliche Behaglichkeit unbehaglich ist; die Zeiten, wenn sie ziellos hin- und herwandert, von einem Stall zum anderen zieht, von einem halbfertigen Schlammloch zum nächsten, von Gruppe zu Gruppe – zu Kontakt einladend nur, um ihn zurückzuweisen, sich so verhaltend, wie wir es tun, wenn wir eine alte Haut abgestreift, aber noch keine neue gebildet haben –; die Zeiten, wenn etwas darum kämpft, an die Oberfläche zu kommen, gegen eine schmerzliche Erinnerung ankämpft: ein neues Bewusstsein, eine neue Frage,

Dies sind die einzigen Zeiten, in denen sie versucht, den Schweinestall zu betreten, vielleicht so etwas wie Sinn für Gemeinschaft oder Familie suchend, oder vielleicht auf Leitung durch ihresgleichen hoffend, Verwandte, die Erfahrungen machten wie die, mit denen sie fertigzuwerden sucht. In diesen Zeiten fühlt sich die Gesellschaft anderer nicht länger wie ein Eindringen in ihre Privatsphäre an, sondern wie eine mögliche Lösung, und die Einsamkeit, die sie sonst so heftig verteidigt, scheint eher ein Gefängnis als ein sicherer Hafen zu sein.

Sie nähert sich dem Stall mit gesenktem Schwanz, gebeugtem Kopf, abgewandten Augen – nicht die gewöhnliche Größer-Böser-Biestiger-als-Du-Petunia – , sondern eine kleinere, bescheidenere Version ihrer selbst Aber sie schafft es nicht mal bis hinter die Stalltür. In dem Moment, da Agnes, die Matriarchin, sie erblickt, jagt diese sie fort, scheucht sie in gemächlicher Geschwindigkeit über das Gelände. Am Ende jeder ''Verfolgungsjagd'' sind beide erschöpft, schlafen ein, wo sie sich niederwerfen – gewöhnlich an gegenüberliegenden Seiten des Schweinestalls: Agnes, zu müde, um es in den Stall zurück zu schaffen, Petunia, zu erschöpft, um den Hof zu überqueren und zu ihrem eigenen Stall zu gelangen. Dieses Szenario mag sich am nächsten Tag wiederholen und am darauf folgenden, aber bald wird Petunia zu ihren einsamen, unabhängigen Gepflogenheiten zurückkehren, allein essen, allein schlafen, den Lebenshof auf eigene Faust durchstreifen, ihre eigenen Schlammlöcher graben und genießen, weg vom Treiben der Menge, niemandes bedürfend, sich wieder verhaltend wie das Schwein, das sie sein möchte – das zähe, unabhängige, unverletzliche, ungezähmte, gefährliche Minenfeld –, und wieder das verletzliche, verwundete Wesen, als das sie sich kennt, versteckend. Vor jedem außer Chris. Bei ihm ist sie ohne Furcht.

Wenn Chris in der Nähe ist, entfalten sich beinahe Flügel zu ihren Seiten. In seine Gegenwart wird ihre erdrückende unsichtbare Last leichter, ihr Schutzpanzer löst sich, ihr geschlagener Leib leuchtet von innen. Chris darf seine Hände auf ihren geschundenen Rücken legen, ihren verachteten Körper in die Arme nehmen, ihren narbenbedeckten Hals berühren, und sie schließt die Augen, scheint ihre massige Gestalt auf die Spitzen ihrer Hufe zu heben, wie um etwas Seltenes zu empfangen und zurückzugeben – jenen Stoff, den wir erzeugen und in die Welt entlassen, wenn wir lieben –, und sie nimmt den Segen dieser Berührung ganz in sich auf, die belebt, die Zärtlichkeit gibt und keine Gegenleistung erwartet und die dem widerspricht, sich dem entgegenstellt und, vielleicht, das auszulöschen zu beginnen vermag, was ihr in ihrem ganzen Leben als ''Nutztier'' in Worten, Blicken und Berührungen vermittelt wurde: dass sie verächtlich ist, hässlich, schmutzig, widerwärtig, unwert, geliebt zu werden, und unwert zu leben; dass sie deshalb die Verstümmlungen, Schläge, Entbehrungen, die Quälereien und Schrecken verdient, die wir auf ihren seufzenden Leib häufen im Namen des Vergnügens von Menschen, worin immer dieses Vergnügen bestehen mag – Schinken, Speck, Hotdogs, Handtaschen, Punchingbälle, Hundeleckerchen. Sie antwortet mit gurrenden, melodischen Lauten, summend wie ein Bienenstock, einem kleinen rhythmischem Nicken des Kopfes zum Takt der Musik in ihr, die Du fast sehen kannst, und einer warmen, unbewachten Stille, Sanftheit, einem offenen Darbieten von Verletzlichkeit, ein Fenster zur Tiefe ihres großen gebrochenen Herzens.

Was Du in diesem Augenblick siehst, ist kaum ohne innnere Bewegung anzuschauen. Du siehst die Schönheit ihres lebendigen Herzens und die funkelnde, hell erleuchtete Seele. Du siehst auch die Tiefe ihrer Wunden und die schiere Hoffnungslosigkeit von Heilung und die unauslöschliche Hoffnung, das Bedürfnis, das Verlangen, wieder ein Ganzes zu werden, und ihren Glauben, dass dieser Mann, der ihr in Worten, Blicken und Berührungen zeigt, dass ihr Leben wichtig ist, ihr nicht nur helfen wird, dieses unwahrscheinliche, tapfere neue Herz zu hegen, sondern auch, es zu tragen.

Geringfügig geänderter Auszug aus ''Pig Love'' von Joanna Lucas, Peaceful Prairie Sanctuary

Tuesday 2 November 2010

Faltblatt: Ein Platz zum Leben

Flyer_NEU_2-1

''Jene, die sich nicht an die Vergangenheit erinnern, sind dazu verdammt, sie zu wiederholen''

von Gary L. Francione Blog

Diese von dem Philosophen George Santayana geschriebenen Worte scheinen heutzutage mit besonderer Relevanz nachzuklingen, da wir eine in Gewalt versunkene Welt sehen. Aber Santayana hat auch der abolitionistischen Bewegung etwas Wichtiges zu sagen.

Die meisten der großen Organisationen des Neuen Tierschutzes sowohl in Großbritannien als auch in den USA behaupten, Veganismus zu befürworten, fördern ihn aber nicht als Grundlinie der Bewegung aus dem Bedenken heraus, dass Veganismus für die breite Öffentlichkeit zu ''radikal'' erscheint. Deshalb fördern diese Organisationen ''Bio-Fleisch'' und ''Bio-Milch/Eier'', die das Certified-Humane-Raised-&-Handled-Label [Zertifiziert aufgezogen und behandelt] oder das Freedom-Food-Label [Freiheitsnahrung] tragen oder mit den Farm Animal Compassionate Standards [Normen des Mitgefühls für Nutztiere] von Whole Foods [Whole Foods Market: Bio-Supermarktkette] übereinstimmen, nun auf beiden Seiten des Atlantik. Und Peter Singer erinnert uns daran, dass ein konsequenter Veganer zu sein ''fanatisch'' ist und dass wir eigentlich dazu verpflichtet sind, keine Veganer zu sein, wenn Veganer zu sein andere verstimmt.

Jenen, die daran festhalten, dass Veganismus eine klare und unzweideutige moralische Grundlinie der Bewegung sein sollte, wird von den Neuen Tierschützern eindringlich erzählt, dass die Öffentlichkeit noch nicht bereit dafür ist, die Botschaft des Veganismus zu hören. Stattdessen sollten wir uns auf ''käfig-freie'' Eier [Eier aus Bodenhaltung] und ''Freiland-Fleisch'' konzentrieren.

Und inwiefern ist Santayanas Botschaft in diesen Kontext relevant?

Im Jahr 1944 gründete Donald Watson die Vegan Society in Großbritannien. Er prägte das Wort ''Veganer'' als Bezeichnung für jemanden, der keine Tierprodukte konsumiert. In der ersten Ausgabe von The Vegan News – vor 66 Jahren – schrieb Watson:

Eine übliche Kritik ist, dass die Zeit noch nicht reif für unsere Reform sei. Aber kann die Zeit für irgendeine Reform jemals reif sein, wenn sie nicht durch die Entschlossenheit von Menschen reift?

Watson wies darauf hin, dass die Gegner der Sklaverei nicht darauf gewartet haben, dass die Zeit ''reif'' war, und dass [auch] die Befürworter sauberen Trinkwassers und sanitärer Einrichtungen heftiger Ablehnung begegneten und nicht auf den ''nicht existierenden Moment'' warteten, da die Zeit ''reif'' sein würde.

Watson fährt fort:

Es liegt eine offensichtliche Gefahr darin, die Erfüllung unserer Ideale der Nachwelt zu überlassen, da die Nachwelt vielleicht nicht unsere Ideale hat. Evolution kann ebenso rückschrittlich wie fortschrittlich sein, allerdings scheint immer der falsche Weg eine starke Gravitation zu haben, wenn nicht bestehende Standards geschützt und neue Visionen eingelöst werden.

Das Problem, dem jene, die über unsere Ausbeutung von Tieren besorgt sind, gegenüberstehen, ist, dass die großen Organisationen des Neuen Tierschutzes, welche die Szene beherrschen, Veganismus nicht als eine einzulösende neue Vision betrachten, sondern als eine ''fanatische'' Position, die es zu marginalisieren gilt zugunsten des fortgesetzten Konsumierens von Tierprodukten – vermeintlich ''human'' produziert – als Standardposition. Durch das Bewerben von ''Bio-Fleisch'' und ''Bio-Milch/ Eiern'' verstärken die Neuen Tierschützer lediglich das Paradigma, demzufolge das Konsumieren von Tieren moralisch akzeptabel ist, wenn wir ''gütig'' zu unseren Opfern sind. Diese Vorgehensweise wird und kann nicht in Richtung Veganismus führen; er kann nur dazu dienen, Vegansmus als ''radikale' oder ''fanatische'' Position erscheinen zu lassen.

Wie Watson notierte ''(kann) Evolution ..ebenso rückschrittlich wie fortschrittlich sein'.'' Wir können nicht auf den ''nicht existierenden Moment'', in dem die Zeit ''reif'' ist, warten. Wir müssen diesen Moment durch unsere eigene Entschlossenheit eintreten lassen. Diese Entschlossenheit, ausgedrückt durch unseren eigenen konsequenten Veganismus und unser Engagement für klare, unzweideutige, gewaltlose Aufklärung über Veganismus – und unsere Ablehnung kontraproduktiver Tierschutzkampagnen – ist das Fundament der abolitionistischen Bewegung.

Gary L. Francione
© 2007 Gary L. Francione


Wednesday 27 October 2010

Kommentar (20) [Videoüberwachung in Schlachthäusern)

von Gary L.Francione Blog

(...) Zu Beginn des Kommentars diskutiere ich kurz eine neue Kampagne der britischen Tierschutzorganisation, Animal Aid [nachfolgend AA], welche darin besteht,

(zu) fordern, Überwachungskameras [CCTV: closed circuit television] in allen Schlachthäusern in Großbritannien zu installieren und die Bänder unabhängigen Stellen zugänglich zu machen. Außerdem fordern wir ein besseres unabhängiges Training, regelmäßige Wiederholung der Schulung und Beurteilung, rigorose Umsetzung der Gesetze und ein Ende der Beschäftigung von Personen in Schlachthäusern, die wegen auffälliger Gewaltdelikte und Tierquälerei verurteilt worden sind.

Bei einem Schlachthaus, dessen Vertrag mit einer großen britischen Supermarktkette infolge der von AA erhobenen Beschuldigung der Tierquälerei suspendiert worden war, wurde der Vertrag nach ''Verbesserungen, einschließlich der Einführung von Videoüberwachung wie von AA gefordert'' wiederhergestellt

Andrew Tyler von AA kommentierte:

''Es zeigt recht deutlich die Bedeutung unserer Ermittlungen, dass das Unternehmen sagt, dass seine eigenen Standards sich dramatisch verbessert haben'', sagte er.
''Das unterstreicht ganz klar, dass das, was wir tun und zu tun fortfahren werden, eine unerlässliche Aufgabe ist. Wir sind erfreut, dass Videoüberwachung eingeführt wurde. Es ist absolut unerlässlich, dass die Bänder nicht einfach nur gesammelt, sondern von Sainsbury’s und vom Ordnungsamt gewissenhaft geprüft werden'', sagte Mr. Tyler.

Wie Sie sich denken können, sind viele Anwälte der Tiere verständlicherweise darüber aufgebracht, dass AA nun eine Partnerschaft mit institutionellen Tierausbeutern bildet, um ''Bio-Fleisch'' zu bewerben und zu verkaufen.

Eine Kollegin in GB schrieb mir und teilte mir die Antwort mit, die sie von Tyler auf ihre Einwände gegen diese törichte Kampagne erhalten hatte. Tyler versuchte, diese in folgender Weise zu rechtfertigen:

Nehmen wir ein Beispiel: Sie sind auf einem ''Viehmarkt'' und sehen, wie auf ein Schaf wiederholt eingetreten wird. Greifen Sie ein, um diese extreme Misshandlung zu beenden, oder würden Sie dies angesichts dessen, dass selbst, wenn sie dem Treten Einhalt gebieten, das Schaf trotzdem geschlachtet wird, als ''Tierschutz''' betrachten?

Ingrid Newkirk von PETA gebrauchte dasselbe Argument vor fast 20 Jahren, als sie die Auffassung vertrat, jene, die Tierschutzreformen ablehnen, von denen sie behauptete, diese würden uns Tierrechten näher bringen, verweigerten einer durstigen Kuh Wasser auf dem Weg zum Schlachthaus.

Ich habe Newkirks Position in meinem 1996 erschienenen Buch Rain Without Thunder: The Ideology of the Animal Rights Movement. erörtert. (…)

Meine Antwort auf Newkirk gilt auch für Tylers Beispiel.

Gewiss würde ich eingreifen, um das Treten des Schafes zu stoppen. Ich würde denken, dass die meisten Eigentümer von Schafen und Schlachthausbetreiber dasselbe tun würden. Schließlich verursacht das Treten des Schafes eine Beschädigung des Schlachtkörpers und das mindert den Wert des Schafes. Aber würde ich eine Kampagne für eine ''humanere'' Behandlung von Schafen führen? Absolut nicht. Das leistet nichts anderes als das Weißwaschen einer an sich unmoralischen Einrichtung und verschafft der Öffentlichkeit ein besseres Gewissen beim Essen von Fleisch.

Und genau das ist es, was AA tut. Der Verein ermutigt die Öffentlichkeit zu glauben, dass es eine richtige und eine falsche Art und Weise, Tiere auszubeuten, gibt.

Es gibt keine richtige Art und Weise. Es gibt nur eine falsche.

Es ist bestürzend zu sehen, wie viele Konsumenten von Fleisch und Milchprodukten die AA-Kampagne loben. Aber das war zu erwarten. AA verkauft ihnen einen Ablassbrief und erzählt ihnen für eine Spende, dass sie fortfahren können, Tiere auszubeuten, solange sie in einem Supermarkt kaufen, der sein Fleisch von einem Schlachthaus mit Videoüberwachung bezieht. (...)

Vor 20 Jahren sagte Newkirk, dass wir Tierschutz unterstützen müssten, um Tierrechten näher zu kommen. Tja, es ist 20 Jahre später, und wenn Newkirk denkt, dass wir Tierrechten irgendwie – auch nur einen Zoll – näher gekommen sind, dann liegt bei ihr eine völlige Verkennung der Realität vor. Und nun haben wir Tyler, der uns dasselbe lächerliche Argument auftischt. (…)

Leben Sie vegan.

Gary L. Francione
©2010 Gary L. Francione

Saturday 23 October 2010

VIVA! vs RSPCA ... und vergessen Sie nicht, auf ''Spenden'' zu klicken

von Gary L. Francione Blog

Liebe KollegInnen,

im Kielwasser einer Kontroverse in Großbritannien über den Verkauf von Halal-Fleisch, das Ausblutung [von geschlachteten Tieren] ohne Betäubung bedeutet, und über den Kommentar einer britischen Organisation des Neuen Tierschutzes, VIVA! [Vegetarians International Voice for Animals], dass ''Konsumenten .. ihren Teil .. beitragen (können), indem Sie Orte boykottieren, die fortdauernd Fleisch von unbetäubten Tieren verkaufen'', habe ich zwei Essays geschrieben.

Im ersten Essay stellte ich heraus, dass VIVA!, zusätzlich dazu, auf den islamophobischen Zug aufzuspringen, der von den reaktionären Medien angetrieben wird, eine vermeintlich ''glücklichere'' Form der Tierschlachtung fördert anstatt, wie es der Verein tun sollte, die Idee zu fördern, dass die einzige sinnvolle Konsequenz eines moralischen Bedenkens gegenüber der Tierausbeutung darin besteht, aufzuhören, Tiere zu essen, als Bekleidung oder für andere Zwecke zu verwenden und anzufangen, vegan zu leben.

VIVA! antwortete darauf und ich schrieb einen zweiten Essay, in dem ich notierte, dass VIVA! zwischen Fleisch und anderen Tierprodukten unterscheidet und für Vegetarismus als moralisch sinnvolle Wahl wirbt, Veganismus als schwierig und ''abschreckend'' darstellt, vegetarische Kochbücher mit nichtveganen Rezepten verkauft und für vegetarische Restaurants, die Milchprodukte servieren, Werbung macht. Mit einem Wort, VIVA! fördert die fleischlose Variante der Tierausbeutung.

Tja, nun hat der Verein eine Anklage gegen die RSPCA [Royal Society for the Prevention of Cruelty to Animals] veröffentlicht, die Einrichtung, die das Freedom-Food-Label [Freiheitsnahrung] sponsert, mit der Behauptung, dass die RSPCA die Dinge nicht ordentlich überwacht und ''Bio-Eier'' nicht wirklich ''Bio'' sind. Aber VIVA! erzählt uns nichts Neues. Von Anfang des Freedom-Food-Projekts an war klar, dass dieses nichts anderes als ein Marketinginstrument zur Bereicherung der RSPCA und der Produzenten von ''Bio-Fleisch'' und anderen ''Bio''-Tierprodukten ist und Freedom-Food-Tiere genauso gequält werden wie die Tiere, deren Leiden und Tod nicht von der RSPCA abgesegnet werden. Nichtsdestotrotz fallen Tierschutzgruppen in den USA, Großbritannien und anderen Ländern übereinander in dem fieberhaften Bemühen, Partnerschaften mit institutionellen Ausbeutern herzustellen, die noch mehr ''Bio''-Label mit sich bringen werden.

Zurück zu VIVA! und der RSPCA. Hier haben wir eine Tierausbeutung unterstützende Organisation, die eine anderen Organisation der Unterstützung von Tierausbeutung beschuldigt. Ich kann kaum erwarten, dass VIVA! uns ein paar ihrer nicht vegan lebenden Prominenten auftischt, die uns erzählen, dass die RSPCA-Nichtveganer weniger ''mitfühlend'' als die Nichtveganer von VIVA! sind. Vielleicht kann PETA [People for the Ethical Treatment of Animals] einen ''mitfühlenden'' Schlammschlacht-Wettbewerb zwischen leicht bekleideten Nichtveganern von VIVA! und RSPCA sponsern. Alles für die Tiere.

Aber hinter jeder Wolke zeigt sich ein Silberstreif am Horizont. Sicher, ''Bio''-Tierprodukte sind nicht wirklich Bio (offenbar sofern sie nicht in einem von VIVA! beworbenen nichtveganen Restaurant serviert werden). Aber Sie können helfen. Direkt rechts neben der Anklage VIVA!s gegen die RSPCA findet sich die Lösung: ''Helfen Sie uns, Tiere zu retten. Machen Sie eine Spende an VIVA!'' und Sie können einen Betrag einsetzen und auf ''Spenden'' klicken.

Oh ja, der standardmäßige Refrain der großen Tierschutzgruppen: Die Lage der Tiere ist schlecht, aber wir können sie verbessern. Schicken Sie uns Geld und wir lösen das Problem. Wir ''retten Tiere.''

Das ist natürlich ein Hirngespinst. Das Einzige, was Sie retten, indem Sie auf ''Spenden'' klicken, ist der Job der Leute, die für VIVA! arbeiten. (...) Sie können .. helfen, aber nicht dadurch, irgendjemandem Geld zu schicken. Sie brauchen keine Organisation oder auf ''Spenden'' zu klicken. Die großen Tierschutzunternehmen stehen dem Wandel im Weg, sie erleichtern ihn nicht.

Sie brauchen nur Ihre Entscheidung, das Richtige zu tun, zu treffen, und vegan zu leben

In einem können Sie sich sicher sein: Wenn Sie nicht vegan leben, beteiligen Sie sich direkt an Tierausbeutung. Es gibt keinen moralisch schlüssigen Unterschied zwischen Fleisch und anderen Tierprodukten. Es steckt ebenso viel Leiden in einem Glas Milch oder Stück Käse, serviert in einem von VIVA! unterstützten ''Bio''-Ausbeutungsrestaurant, wie in dem Fleisch, das mit einem ''Bio''-Label verkauft wird. Und alle Tiere, ob für Fleisch oder Milch oder was auch immer genutzt, enden ihr Leben inmitten des Lärms und Elends irgendeines grässlichen Schlachthauses.

Wenn Sie nicht vegan leben: Fangen Sie damit an. (...) Veganismus ist ... das moralisch Richtige und Gerechte. (...)

Wenn Sie vegan leben, dann klären Sie andere über Veganismus auf. Ihr eigener Veganismus und Ihre Bemühungen in kreativer, gewaltloser Aufklärung über Veganismus sind die wirkungsvollsten Wege, [Tieren] zu helfen.

Die Welt ist vegan! Wenn Du es willst.


Gary L. Francione
©2010 Gary L. Francione

Thursday 21 October 2010

VIVA!s Antwort und meine Stellungnahme

von Gary L. Francione Blog

Liebe KollegInnen,

Ich hatte einen Essay über die in der The Sunday Mail (einer britischen Zeitschrift) berichteten Bemerkungen von ViVA! [Vegetarians International Voice for Animals] gepostet, in denen es um den Verkauf von Fleisch von Tieren, die nach der Halal-Methode geschlachtet wurden, in Großbritannien ging.

Eine ''Antwort von VIVA!'' wurde auf Opposing Views gepostet, wo mein Essay nachgedruckt worden war:
Gary, vielleicht interessiert es Sie, dass The Daily Mail nicht mit VIVA! gesprochen hat. Sie hat ein Zitat von unserer Website genommen. Rituelle Schlachtung ohne vorausgehende Betäubung hat ist als grausamer [als andere Schlachtmethoden] erwiesen, aber wir sind gegen alles Schlachten. Natürlich gibt es so etwas wie ''humane Schlachtung'' nicht.

Wir versuchen bei jeder Gelegenheit, Veganismus als die ethischste Wahl des Handelns, um Tiere zu schützen, voranzutreiben. Sie müssen allerdings verstehen, dass die Medien ihre eigene Agende haben. Wenn wir mit The Daily Mail gesprochen hätten (wir haben es inzwischen getan), hätten wir uns dabei, Veganismus voranzutreiben, den Mund fusselig reden können. Die drucken, was sie drucken wollen. Bitte bedenken Sie das, bevor Sie uns oder andere Gruppen in Zukunft kritisieren. Danke.

- Justin Kerswell September 21, 2010 11:06AM
Ich kann bestätigen, dass diese Antwort tatsächlich die von VIVA! ist. Hier ist meine:

Lieber Justin,

vielen Dank für Ihre Antwort. Bedauerlicherweise geht sie nicht auf meine Bedenken ein, außer insofern sie sie bekräftigt.

Islamophobie und Halal-Schlachtung

Wenn wir annehmen (und ich tue es), dass was Sie sagen, der Wahrheit entspricht und The Sunday Mail nicht mit VIVA! gesprochen, sondern das Zitat von der Website des Vereins genommen hat, dann ist die Sache tatsächlich schwerwiegender, insofern die VIVA! zugeschriebenen fremdenfeindlichen Bemerkungen nicht als irgendeine aus dem Kontext gerissenes Äußerung beschrieben werden können, sondern vielmehr ein wohl überlegtes, die Politik des Vereins repräsentierendes Statement. Im Licht der grassierenden Islamophobie in Großbritannien (und überall sonst) wäre es vielleicht eine gute Idee, dieses Statement von Ihrer Website zu entfernen. Es hilft nichts zu sagen, dass VIVA! Multikulturalität unterstützt, wenn der Verein Bemerkungen wie diese macht, insbesondere angesichts dessen, dass wir beide wissen, dass Tiere, die betäubt werden, oft, wenn nicht sogar üblicherweise nicht richtig betäubt werden. Deshalb ist mir schleierhaft, warum Sie es für irgend sinnvoll erachten, einen Unterschied zwischen Halal-Schlachtung und konventioneller Schlachtung zu machen.

Die VIVA! zugeschriebene Feststellung, von der Sie sich nicht distanzieren: ''Konsumenten können ihren Teil .. beitragen, indem sie Orte boykottieren, die fortdauernd Fleisch von unbetäubten Tieren verkaufen'' sendet überdies eine ausdrückliche, klare Botschaft, dass das Problem Halal- (oder Koscher-)Schlachtung ist und die Lösung darin besteht, Fleisch von unbetäubten Tieren zu boykottieren. Eine sehr viel bessere Aussage wäre gewesen: ''Konsumenten, die dieses Problem kümmert, sollten überlegen, ob sie überhaupt irgendwelche Tierprodukte konsumieren sollten, weil alle Tierprodukte das Resultat des Quälens und nicht zu rechtfertigenden Tötens von Tieren sind.'' Wie ich sagte, hat VIVA! eine Gelegenheit versäumt, hier aufzuklären. Um es noch einmal zu sagen, angesichts der Tatsache, dass Tiere, die betäubt werden, oft nicht betäubt sind, ist die von Ihnen gemachte Unterscheidung ihren eigenen Bedingungen gemäß unhaltbar und nicht nur in Bezug auf den größeren Kontext, dass das Problem die Nutzung von Tieren ist und nicht eine bestimmte Art der Behandlung oder Ausbeutung von Tieren durch eine bestimmte Gruppe von Menschen.

VIVA! und Veganismus

Ihre Aussage, dass ''wir.. bei jeder Gelegenheit (versuchen), Veganismus als die ethischste Wahl des Handelns, um Tiere zu schützen, voranzutreiben'', ist schlicht nicht zutreffend.

Fakt ist, dass VIVA! aktiv für Vegetarismus als moralisch schlüssige Alternative dazu, ein Allesesser zu sein, auf seinen Websites Werbung macht (der Verein hat Filialen in mehreren Ländern), und Veganismus als etwas Optionales darstellt, dass Menschen tun können, wenn sie weiter gehen wollen. In dem Maß, in welchem VIVA! Fleisch von anderen Tierprodukten unterscheidet, hält der Verein die Vorstellung am Leben, dass es einen moralisch schlüssigen Unterschied gibt, und wir wissen beide, dass dies Unsinn ist. Milch und Eier sind für ebenso viel, wenn nicht mehr Leiden verantwortlich, und alle Tierprodukte, egal, wie sie produziert werden, sind das Ergebnis des Tötens von Tieren. Vegetarismus anstelle von Veganismus zu fördern ist logisch nichts Anderes als das Essen von Fleisch von gescheckten Kühen anstelle von braunen Kühen zu fördern. Die von VIVA! angeführte Begründung ist genau die gleiche, die zur Unterstützung von Kampagnen wie die gegen das Essen von Kalbfleisch bemüht wird. Es gibt keinen Unterschied zwischen Kalbfleisch und anderem Tierfleisch oder zwischen Fleisch und anderen Tierprodukten.

Die britische VIVA!-Website verkauft Kochbücher, die Rezepte mit Tierprodukten enthalten, und macht Werbung für Restaurants, die Tierprodukte servieren. Wie können Sie angesichts dessen sagen, dass Sie ''bei jeder Gelegenheit Veganismus vorantreiben'? Das ist eine rhetorische Frage. Indem Sie diese Bücher und Unternehmen fördern, richten Sie eine klare Aussage an die Öffentlichkeit: dass es einen Unterschied zwischen Fleisch und anderen Tierprodukten gibt.

Nicht nur befördert VIVA! die Vorstellung, dass Vegetarismus eine sinnvolle Alternative dazu, ein Allesesser zu sein, darstellt, der Verein hält zudem den Unfug aufrecht, dass vegan zu leben schwierig oder ''abschreckend'' (ein von VIVA! auf seiner Facebook-Seite gebrauchter Ausdruck) und Vegetarismus eine Art Einsteg [in den Veganismus] sei. Derlei leistet nichts anderes, als die Propaganda zu verstärken, dass Veganismus eine extreme Position sei, die nur von Übermenschen erreicht werden könne. Es ist genau diese Einstellung, durch welche die Öffentlichkeit von Veganismus abgeschreckt wird und die zu der großen Zahl von ''Tierschutzleuten'' beiträgt, die nie begonnen haben, vegan zu leben. Wenn für uns feststeht, dass Veganismus die moralische Grundlinie ist, dann sollten wir das auch feststellen, und jene, die [noch] nicht bereit sind, vegan zu leben, werden welchen Zwischenschritt auch immer machen, aber zumindest ist die Botschaft klar.

Wenn VIVA! wirklich Veganismus fördert, warum macht der Verein dann auf seiner Website Aussagen wie diese: ''VIVA! lehnt jegliches Schlachten ab und wir fördern Vegetarismus als den einzigen wahrhaft wirkungsvollen Weg, das Leiden von Tieren zu verhindern''? Wir werden das Leiden nicht dadurch abstellen, dass wir lediglich Vegetarier werden. Wenn Veganismus wirklich auf Ihrer Agenda steht und nicht nur eine optionale (und ''abschreckende'') Änderung des Lifestyles ist, warum dann machen Sie solche Aussagen, die die Leute nur verwirren? So, wie die Dinge stehen, würde jeder Leser von VIVA!s Website diese mit der Vorstellung verlassen, dass Vegetarismus eine einwandfreie moralische Position ist; dass Fleisch ''schlimmer'' als Milch ist und Veganismus eine Option – und eine schwierige und ''abschreckende'' zumal –, aber keine moralische Grundlinie. Wie viele von VIVA!s Mitgliedern sind Stammkunden von Restaurants, für die Sie Werbung machen, und konsumieren dort Milch und Käse? Wie viele kaufen VIVA!s nicht-vegane Kochbücher und kochen Gerichte, die Tierprodukte enthalten?

Jene, die wirklich die Abschaffung der Tierausbeutung anstreben, sollten damit aufhören, sich an der ''Veganismus ist ja sooooo schwierig''-Propaganda zu beteiligen und die Idee von Vegetarismus (oder anderer Einzelthema-Kampagnen) als ''Einstieg'' in den Veganismus verwerfen. (Um mehr zu diesem Thema zu erfahren, hören Sie meinen Kommentar und lesen Sie meine Essays Some Comments on Vegetarianism as a ''Gateway'' to Veganism [Einige Bemerkungen zum Vegetarismus als ''Einstieg'' in den Veganismus], ''Gateway'' Arguments [''Einstiegsargumente''] und ''Vegetarianism First?'' [Zuerst Vegetarismus?]; letzterer wurde in The Vegan veröffentlicht.)

Zuletzt: Ihre Website betont Masssentierhaltung als das Problem – als ob dieses darin bestünde, wie Tierprodukte gemacht werden, und nicht, dass sie überhaupt gemacht werden. Dies trägt zur Verwirrung der Öffentlichkeit bei und verstärkt die Vorstellung, dass das Problem die Behandlung, nicht die Nutzung von Tieren ist.

Mein Ersuchen an VIVA!

1. Mit einem Wort, ich bleibe besorgt darüber, dass Ihre Kommentare über Halal-Schlachtung, insbesondere im gegenwärtigen [politischen] Klima, islamophobisch sind, und ich ersuche Sie, auf Ihrer Website klarzustellen, dass nicht Halal-Schlachtung das Problem ist, sondern jegliche Nutzung von Tieren. Ich ersuche Sie, alle Tierausbeutung in ein Boot zu setzen und nicht ein separates Boot für Muslime (oder Juden) zu konstruieren.

2. Wenn Veganismus Ihre wirkliche Agenda ist, ersuche ich Sie, damit hervorzutreten und es zu sagen und aufzuhören, das Hirngespinst aufrechtzuerhalten, dass Fleisch in irgendeiner Weise ''schlimmer'' als Milch oder andere Tierprodukte ist.

3. Ich ersuche VIVA!, damit aufzuhören, Veganismus als etwas Schwieriges oder Abschreckendes darzustellen. Das ist es nämlich nicht. Tatsächlich ist es, vegan zu leben, ziemlich leicht und heutzutage kann man zu fast allen Nahrungsmitteln tierlicher Herkunft, die man mag, vegane Alternativen bekommen. Wie wäre es mit einer ''Veganismus ist leicht''-Kampagne von VIVA!?

Um es zu wiederholen: Wenn Sie Veganismus zur eindeutigen moralischen Grundlinie machen, mögen jene, die über dieses Problem [der Tierausbeutung] besorgt sind, wählen, weniger zu tun [als vegan zu leben], aber sie könnten zumindest nicht auf VIVA! verweisen und einigermaßen zutreffend behaupten, dass Sie einen Stempel der Gutheißung auf die Wahl, weiterhin ''weniger schlimme'' Tierprodukte zu konsumieren, drücken.

4. Ich bitte VIVA! darum, aufzuhören, Kochbücher zu verkaufen, die den Gebrauch von Tierprodukten fördern, und für Restaurants Werbung zu machen, die Tierprodukte servieren.

Vielen Dank.
Gary

Gary L. Francione
Professor, Rutgers University

***********
Nachtrag vom 26. September 2010

In einer zusätzlichen, auf Opposing Views geposteten Antwort stellt VIVA! fest:
In jedem Fall definieren wir vegetarisch als vegan ´– insoweit als wir für Veganismus als ethischste aller Ernährungsformen eintreten, aber wir erkennen an, dass Menschen dorthin in ihrer jeweils eigenen Gangart gelangen.
Diese Behauptung ist faktisch inkorrekt. VIVA!s Materialien und Website unterscheiden kontinuierlich und konsequent zwischen ''vegetarisch'' und ''vegan''. Der Verein definiert ''vegetarisch'' nicht als ''vegan''.

Überdies bedarf es, wenn VIVA! für Veganismus eintreten will, keiner sprachlichen Konfusion – verwenden Sie einfach ''vegan''.

Und wie ich oben bereits feststellte, können wir anerkennen, dass die Menschen ''in ihrer jeweils eigenen Gangart (dorthin) gelangen'', ohne das Zugeständnis zu machen, dass das ''Dort'' irgendetwas Geringeres als Veganismus ist. Gegenwärtig sendet VIVA! die Botschaft, dass es eine moralisch schlüssige Unterscheidung zwischen Fleisch und anderen Tierprodukten gibt. Es gibt keine.

Abschließend sehe ich, dass VIVA! nach heutigem Stand immer noch Kochbücher mit nichtveganen Rezepten verkauft und für Restaurants, die nichtveganes Essen servieren, Werbung macht. Das spricht Bande.