Sunday 26 December 2010

Petunia lieben

Chris.liebt Petunia. Sie wurde auf einer Schweinefarm geboren. Eine der Millionen Unschuldigen, die jedes Jahr in ein Leben von Misshandlung und Erniedrigung gezwungen werden, denen mit Worten, Blicken und Berührungen jede Minute ihres tristen Lebens gezeigt wird, dass sie verächtlich sind, hässlich, schmutzig, widerwärtig, unwert, geliebt zu werden, und unwert zu leben und dass sie deshalb die Verstümmlungen, Schläge, Entbehrungen, die Quälereien und Schrecken verdienen, die wir auf ihre seufzenden Leiber häufen im Namen unseres Vergnügens, worin immer dieses Vergnügen bestehen mag – Schinken, Speck, Hotdogs, Handtaschen, Punchingbälle, Hundeleckerchen.

Als Ferkel wurde Petunia den routinemäßigen Verstümmlungen von Schweinen unterzogen – Schwanzkürzen, Kupieren der Ohren, Abschleifen der Zähne –, als Jugendliche wurde sie von Teenagern gejagt, verhöhnt und gequält, als Erwachsene von ihren Haltern hungern gelassen, vernachlässigt und misshandelt. So ist es keine Überraschung, dass Petunia heute Kontakt vermeidet, ihre Grenzen verteidigt, sich rau verhält, niemandem vertraut. Es ist keine Überraschung, dass die Gegenwart anderer sie beunruhigt und dass sie, die andauernd wehrlos und abhängig gehalten worden war, sich nach einem Raum sehnt, den sie kontrollieren kann.

Was überrascht, ist die Erkenntnis, dass Petunias Wahl, sich abzuschotten, nicht die Folge der Misshandlungen ist, die sie erduldete, sondern einfach ihre natürliche Begabung. Ihre Fähigkeit, sich nach innen zu flüchten, die gewaltsame Welt aus- und ihr verletzliches Selbst sicher einzuschließen, ist es, was sie die dunklen Zeiten überleben ließ. In Einsamkeit ist es auch, wo sie sich entspannt, sich erholt, Erlebtes verarbeitet, lernt. Sie findet Gefallen an der Gesellschaft ihrer selbst, vermutlich weil sie sich ihrer eigenen Gefühle mehr als die meisten bewusst ist – was eine reiche, interessante, Einsamkeit ermöglicht, einen Raum, der es wert ist, aufgesucht, verteidigt zu werden, wert, zu ihm zurückzukehren.

Was immer sie hört, sieht, fühlt, welche feinen Schwankungen in Stimmung und Bewusstsein sie um sich herum spürt, kann, so scheint es, nur ohne Einmischung von außen wahrgenommen werden, in der ruhigen Umgrenzung eines abgelegenen Schlammlochs, in einem leeren Schuppen, in offenem Feld. Als ruhig nehmen freilich die wenigsten von uns Petunia; für die meisten von uns ähnelt sie mehr einem Minenfeld: scheinbar ruhig und harmlos, aber plötzlich gefährlich explosiv. Geh weiter auf eigene Gefahr; betrete Petunias persönlichen Raum und sie droht. Komm näher und sie stößt und schubst. Beißt. Lass sie in Frieden und niemand wird verletzt.

Nur in den Zeiten der Rastlosigkeit verlässt sie freiwillig ihre einsame Welt. Dies sind die Zeiten, wenn das Futter fade schmeckt und das Wasser schal, wenn das Strohbett sticht, wo es sonst ein sanftes Lager war, wenn die Schlammlöcher einfach nur schlammig sind und die übliche Behaglichkeit unbehaglich ist; die Zeiten, wenn sie ziellos hin- und herwandert, von einem Stall zum anderen zieht, von einem halbfertigen Schlammloch zum nächsten, von Gruppe zu Gruppe – zu Kontakt einladend nur, um ihn zurückzuweisen, sich so verhaltend, wie wir es tun, wenn wir eine alte Haut abgestreift, aber noch keine neue gebildet haben –; die Zeiten, wenn etwas darum kämpft, an die Oberfläche zu kommen, gegen eine schmerzliche Erinnerung ankämpft: ein neues Bewusstsein, eine neue Frage,

Dies sind die einzigen Zeiten, in denen sie versucht, den Schweinestall zu betreten, vielleicht so etwas wie Sinn für Gemeinschaft oder Familie suchend, oder vielleicht auf Leitung durch ihresgleichen hoffend, Verwandte, die Erfahrungen machten wie die, mit denen sie fertigzuwerden sucht. In diesen Zeiten fühlt sich die Gesellschaft anderer nicht länger wie ein Eindringen in ihre Privatsphäre an, sondern wie eine mögliche Lösung, und die Einsamkeit, die sie sonst so heftig verteidigt, scheint eher ein Gefängnis als ein sicherer Hafen zu sein.

Sie nähert sich dem Stall mit gesenktem Schwanz, gebeugtem Kopf, abgewandten Augen – nicht die gewöhnliche Größer-Böser-Biestiger-als-Du-Petunia – , sondern eine kleinere, bescheidenere Version ihrer selbst Aber sie schafft es nicht mal bis hinter die Stalltür. In dem Moment, da Agnes, die Matriarchin, sie erblickt, jagt diese sie fort, scheucht sie in gemächlicher Geschwindigkeit über das Gelände. Am Ende jeder ''Verfolgungsjagd'' sind beide erschöpft, schlafen ein, wo sie sich niederwerfen – gewöhnlich an gegenüberliegenden Seiten des Schweinestalls: Agnes, zu müde, um es in den Stall zurück zu schaffen, Petunia, zu erschöpft, um den Hof zu überqueren und zu ihrem eigenen Stall zu gelangen. Dieses Szenario mag sich am nächsten Tag wiederholen und am darauf folgenden, aber bald wird Petunia zu ihren einsamen, unabhängigen Gepflogenheiten zurückkehren, allein essen, allein schlafen, den Lebenshof auf eigene Faust durchstreifen, ihre eigenen Schlammlöcher graben und genießen, weg vom Treiben der Menge, niemandes bedürfend, sich wieder verhaltend wie das Schwein, das sie sein möchte – das zähe, unabhängige, unverletzliche, ungezähmte, gefährliche Minenfeld –, und wieder das verletzliche, verwundete Wesen, als das sie sich kennt, versteckend. Vor jedem außer Chris. Bei ihm ist sie ohne Furcht.

Wenn Chris in der Nähe ist, entfalten sich beinahe Flügel zu ihren Seiten. In seine Gegenwart wird ihre erdrückende unsichtbare Last leichter, ihr Schutzpanzer löst sich, ihr geschlagener Leib leuchtet von innen. Chris darf seine Hände auf ihren geschundenen Rücken legen, ihren verachteten Körper in die Arme nehmen, ihren narbenbedeckten Hals berühren, und sie schließt die Augen, scheint ihre massige Gestalt auf die Spitzen ihrer Hufe zu heben, wie um etwas Seltenes zu empfangen und zurückzugeben – jenen Stoff, den wir erzeugen und in die Welt entlassen, wenn wir lieben –, und sie nimmt den Segen dieser Berührung ganz in sich auf, die belebt, die Zärtlichkeit gibt und keine Gegenleistung erwartet und die dem widerspricht, sich dem entgegenstellt und, vielleicht, das auszulöschen zu beginnen vermag, was ihr in ihrem ganzen Leben als ''Nutztier'' in Worten, Blicken und Berührungen vermittelt wurde: dass sie verächtlich ist, hässlich, schmutzig, widerwärtig, unwert, geliebt zu werden, und unwert zu leben; dass sie deshalb die Verstümmlungen, Schläge, Entbehrungen, die Quälereien und Schrecken verdient, die wir auf ihren seufzenden Leib häufen im Namen des Vergnügens von Menschen, worin immer dieses Vergnügen bestehen mag – Schinken, Speck, Hotdogs, Handtaschen, Punchingbälle, Hundeleckerchen. Sie antwortet mit gurrenden, melodischen Lauten, summend wie ein Bienenstock, einem kleinen rhythmischem Nicken des Kopfes zum Takt der Musik in ihr, die Du fast sehen kannst, und einer warmen, unbewachten Stille, Sanftheit, einem offenen Darbieten von Verletzlichkeit, ein Fenster zur Tiefe ihres großen gebrochenen Herzens.

Was Du in diesem Augenblick siehst, ist kaum ohne innnere Bewegung anzuschauen. Du siehst die Schönheit ihres lebendigen Herzens und die funkelnde, hell erleuchtete Seele. Du siehst auch die Tiefe ihrer Wunden und die schiere Hoffnungslosigkeit von Heilung und die unauslöschliche Hoffnung, das Bedürfnis, das Verlangen, wieder ein Ganzes zu werden, und ihren Glauben, dass dieser Mann, der ihr in Worten, Blicken und Berührungen zeigt, dass ihr Leben wichtig ist, ihr nicht nur helfen wird, dieses unwahrscheinliche, tapfere neue Herz zu hegen, sondern auch, es zu tragen.

Geringfügig geänderter Auszug aus ''Pig Love'' von Joanna Lucas, Peaceful Prairie Sanctuary

Tuesday 2 November 2010

Faltblatt: Ein Platz zum Leben

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''Jene, die sich nicht an die Vergangenheit erinnern, sind dazu verdammt, sie zu wiederholen''

von Gary L. Francione Blog

Diese von dem Philosophen George Santayana geschriebenen Worte scheinen heutzutage mit besonderer Relevanz nachzuklingen, da wir eine in Gewalt versunkene Welt sehen. Aber Santayana hat auch der abolitionistischen Bewegung etwas Wichtiges zu sagen.

Die meisten der großen Organisationen des Neuen Tierschutzes sowohl in Großbritannien als auch in den USA behaupten, Veganismus zu befürworten, fördern ihn aber nicht als Grundlinie der Bewegung aus dem Bedenken heraus, dass Veganismus für die breite Öffentlichkeit zu ''radikal'' erscheint. Deshalb fördern diese Organisationen ''Bio-Fleisch'' und ''Bio-Milch/Eier'', die das Certified-Humane-Raised-&-Handled-Label [Zertifiziert aufgezogen und behandelt] oder das Freedom-Food-Label [Freiheitsnahrung] tragen oder mit den Farm Animal Compassionate Standards [Normen des Mitgefühls für Nutztiere] von Whole Foods [Whole Foods Market: Bio-Supermarktkette] übereinstimmen, nun auf beiden Seiten des Atlantik. Und Peter Singer erinnert uns daran, dass ein konsequenter Veganer zu sein ''fanatisch'' ist und dass wir eigentlich dazu verpflichtet sind, keine Veganer zu sein, wenn Veganer zu sein andere verstimmt.

Jenen, die daran festhalten, dass Veganismus eine klare und unzweideutige moralische Grundlinie der Bewegung sein sollte, wird von den Neuen Tierschützern eindringlich erzählt, dass die Öffentlichkeit noch nicht bereit dafür ist, die Botschaft des Veganismus zu hören. Stattdessen sollten wir uns auf ''käfig-freie'' Eier [Eier aus Bodenhaltung] und ''Freiland-Fleisch'' konzentrieren.

Und inwiefern ist Santayanas Botschaft in diesen Kontext relevant?

Im Jahr 1944 gründete Donald Watson die Vegan Society in Großbritannien. Er prägte das Wort ''Veganer'' als Bezeichnung für jemanden, der keine Tierprodukte konsumiert. In der ersten Ausgabe von The Vegan News – vor 66 Jahren – schrieb Watson:

Eine übliche Kritik ist, dass die Zeit noch nicht reif für unsere Reform sei. Aber kann die Zeit für irgendeine Reform jemals reif sein, wenn sie nicht durch die Entschlossenheit von Menschen reift?

Watson wies darauf hin, dass die Gegner der Sklaverei nicht darauf gewartet haben, dass die Zeit ''reif'' war, und dass [auch] die Befürworter sauberen Trinkwassers und sanitärer Einrichtungen heftiger Ablehnung begegneten und nicht auf den ''nicht existierenden Moment'' warteten, da die Zeit ''reif'' sein würde.

Watson fährt fort:

Es liegt eine offensichtliche Gefahr darin, die Erfüllung unserer Ideale der Nachwelt zu überlassen, da die Nachwelt vielleicht nicht unsere Ideale hat. Evolution kann ebenso rückschrittlich wie fortschrittlich sein, allerdings scheint immer der falsche Weg eine starke Gravitation zu haben, wenn nicht bestehende Standards geschützt und neue Visionen eingelöst werden.

Das Problem, dem jene, die über unsere Ausbeutung von Tieren besorgt sind, gegenüberstehen, ist, dass die großen Organisationen des Neuen Tierschutzes, welche die Szene beherrschen, Veganismus nicht als eine einzulösende neue Vision betrachten, sondern als eine ''fanatische'' Position, die es zu marginalisieren gilt zugunsten des fortgesetzten Konsumierens von Tierprodukten – vermeintlich ''human'' produziert – als Standardposition. Durch das Bewerben von ''Bio-Fleisch'' und ''Bio-Milch/ Eiern'' verstärken die Neuen Tierschützer lediglich das Paradigma, demzufolge das Konsumieren von Tieren moralisch akzeptabel ist, wenn wir ''gütig'' zu unseren Opfern sind. Diese Vorgehensweise wird und kann nicht in Richtung Veganismus führen; er kann nur dazu dienen, Vegansmus als ''radikale' oder ''fanatische'' Position erscheinen zu lassen.

Wie Watson notierte ''(kann) Evolution ..ebenso rückschrittlich wie fortschrittlich sein'.'' Wir können nicht auf den ''nicht existierenden Moment'', in dem die Zeit ''reif'' ist, warten. Wir müssen diesen Moment durch unsere eigene Entschlossenheit eintreten lassen. Diese Entschlossenheit, ausgedrückt durch unseren eigenen konsequenten Veganismus und unser Engagement für klare, unzweideutige, gewaltlose Aufklärung über Veganismus – und unsere Ablehnung kontraproduktiver Tierschutzkampagnen – ist das Fundament der abolitionistischen Bewegung.

Gary L. Francione
© 2007 Gary L. Francione


Wednesday 27 October 2010

Kommentar (20) [Videoüberwachung in Schlachthäusern)

von Gary L.Francione Blog

(...) Zu Beginn des Kommentars diskutiere ich kurz eine neue Kampagne der britischen Tierschutzorganisation, Animal Aid [nachfolgend AA], welche darin besteht,

(zu) fordern, Überwachungskameras [CCTV: closed circuit television] in allen Schlachthäusern in Großbritannien zu installieren und die Bänder unabhängigen Stellen zugänglich zu machen. Außerdem fordern wir ein besseres unabhängiges Training, regelmäßige Wiederholung der Schulung und Beurteilung, rigorose Umsetzung der Gesetze und ein Ende der Beschäftigung von Personen in Schlachthäusern, die wegen auffälliger Gewaltdelikte und Tierquälerei verurteilt worden sind.

Bei einem Schlachthaus, dessen Vertrag mit einer großen britischen Supermarktkette infolge der von AA erhobenen Beschuldigung der Tierquälerei suspendiert worden war, wurde der Vertrag nach ''Verbesserungen, einschließlich der Einführung von Videoüberwachung wie von AA gefordert'' wiederhergestellt

Andrew Tyler von AA kommentierte:

''Es zeigt recht deutlich die Bedeutung unserer Ermittlungen, dass das Unternehmen sagt, dass seine eigenen Standards sich dramatisch verbessert haben'', sagte er.
''Das unterstreicht ganz klar, dass das, was wir tun und zu tun fortfahren werden, eine unerlässliche Aufgabe ist. Wir sind erfreut, dass Videoüberwachung eingeführt wurde. Es ist absolut unerlässlich, dass die Bänder nicht einfach nur gesammelt, sondern von Sainsbury’s und vom Ordnungsamt gewissenhaft geprüft werden'', sagte Mr. Tyler.

Wie Sie sich denken können, sind viele Anwälte der Tiere verständlicherweise darüber aufgebracht, dass AA nun eine Partnerschaft mit institutionellen Tierausbeutern bildet, um ''Bio-Fleisch'' zu bewerben und zu verkaufen.

Eine Kollegin in GB schrieb mir und teilte mir die Antwort mit, die sie von Tyler auf ihre Einwände gegen diese törichte Kampagne erhalten hatte. Tyler versuchte, diese in folgender Weise zu rechtfertigen:

Nehmen wir ein Beispiel: Sie sind auf einem ''Viehmarkt'' und sehen, wie auf ein Schaf wiederholt eingetreten wird. Greifen Sie ein, um diese extreme Misshandlung zu beenden, oder würden Sie dies angesichts dessen, dass selbst, wenn sie dem Treten Einhalt gebieten, das Schaf trotzdem geschlachtet wird, als ''Tierschutz''' betrachten?

Ingrid Newkirk von PETA gebrauchte dasselbe Argument vor fast 20 Jahren, als sie die Auffassung vertrat, jene, die Tierschutzreformen ablehnen, von denen sie behauptete, diese würden uns Tierrechten näher bringen, verweigerten einer durstigen Kuh Wasser auf dem Weg zum Schlachthaus.

Ich habe Newkirks Position in meinem 1996 erschienenen Buch Rain Without Thunder: The Ideology of the Animal Rights Movement. erörtert. (…)

Meine Antwort auf Newkirk gilt auch für Tylers Beispiel.

Gewiss würde ich eingreifen, um das Treten des Schafes zu stoppen. Ich würde denken, dass die meisten Eigentümer von Schafen und Schlachthausbetreiber dasselbe tun würden. Schließlich verursacht das Treten des Schafes eine Beschädigung des Schlachtkörpers und das mindert den Wert des Schafes. Aber würde ich eine Kampagne für eine ''humanere'' Behandlung von Schafen führen? Absolut nicht. Das leistet nichts anderes als das Weißwaschen einer an sich unmoralischen Einrichtung und verschafft der Öffentlichkeit ein besseres Gewissen beim Essen von Fleisch.

Und genau das ist es, was AA tut. Der Verein ermutigt die Öffentlichkeit zu glauben, dass es eine richtige und eine falsche Art und Weise, Tiere auszubeuten, gibt.

Es gibt keine richtige Art und Weise. Es gibt nur eine falsche.

Es ist bestürzend zu sehen, wie viele Konsumenten von Fleisch und Milchprodukten die AA-Kampagne loben. Aber das war zu erwarten. AA verkauft ihnen einen Ablassbrief und erzählt ihnen für eine Spende, dass sie fortfahren können, Tiere auszubeuten, solange sie in einem Supermarkt kaufen, der sein Fleisch von einem Schlachthaus mit Videoüberwachung bezieht. (...)

Vor 20 Jahren sagte Newkirk, dass wir Tierschutz unterstützen müssten, um Tierrechten näher zu kommen. Tja, es ist 20 Jahre später, und wenn Newkirk denkt, dass wir Tierrechten irgendwie – auch nur einen Zoll – näher gekommen sind, dann liegt bei ihr eine völlige Verkennung der Realität vor. Und nun haben wir Tyler, der uns dasselbe lächerliche Argument auftischt. (…)

Leben Sie vegan.

Gary L. Francione
©2010 Gary L. Francione

Saturday 23 October 2010

VIVA! vs RSPCA ... und vergessen Sie nicht, auf ''Spenden'' zu klicken

von Gary L. Francione Blog

Liebe KollegInnen,

im Kielwasser einer Kontroverse in Großbritannien über den Verkauf von Halal-Fleisch, das Ausblutung [von geschlachteten Tieren] ohne Betäubung bedeutet, und über den Kommentar einer britischen Organisation des Neuen Tierschutzes, VIVA! [Vegetarians International Voice for Animals], dass ''Konsumenten .. ihren Teil .. beitragen (können), indem Sie Orte boykottieren, die fortdauernd Fleisch von unbetäubten Tieren verkaufen'', habe ich zwei Essays geschrieben.

Im ersten Essay stellte ich heraus, dass VIVA!, zusätzlich dazu, auf den islamophobischen Zug aufzuspringen, der von den reaktionären Medien angetrieben wird, eine vermeintlich ''glücklichere'' Form der Tierschlachtung fördert anstatt, wie es der Verein tun sollte, die Idee zu fördern, dass die einzige sinnvolle Konsequenz eines moralischen Bedenkens gegenüber der Tierausbeutung darin besteht, aufzuhören, Tiere zu essen, als Bekleidung oder für andere Zwecke zu verwenden und anzufangen, vegan zu leben.

VIVA! antwortete darauf und ich schrieb einen zweiten Essay, in dem ich notierte, dass VIVA! zwischen Fleisch und anderen Tierprodukten unterscheidet und für Vegetarismus als moralisch sinnvolle Wahl wirbt, Veganismus als schwierig und ''abschreckend'' darstellt, vegetarische Kochbücher mit nichtveganen Rezepten verkauft und für vegetarische Restaurants, die Milchprodukte servieren, Werbung macht. Mit einem Wort, VIVA! fördert die fleischlose Variante der Tierausbeutung.

Tja, nun hat der Verein eine Anklage gegen die RSPCA [Royal Society for the Prevention of Cruelty to Animals] veröffentlicht, die Einrichtung, die das Freedom-Food-Label [Freiheitsnahrung] sponsert, mit der Behauptung, dass die RSPCA die Dinge nicht ordentlich überwacht und ''Bio-Eier'' nicht wirklich ''Bio'' sind. Aber VIVA! erzählt uns nichts Neues. Von Anfang des Freedom-Food-Projekts an war klar, dass dieses nichts anderes als ein Marketinginstrument zur Bereicherung der RSPCA und der Produzenten von ''Bio-Fleisch'' und anderen ''Bio''-Tierprodukten ist und Freedom-Food-Tiere genauso gequält werden wie die Tiere, deren Leiden und Tod nicht von der RSPCA abgesegnet werden. Nichtsdestotrotz fallen Tierschutzgruppen in den USA, Großbritannien und anderen Ländern übereinander in dem fieberhaften Bemühen, Partnerschaften mit institutionellen Ausbeutern herzustellen, die noch mehr ''Bio''-Label mit sich bringen werden.

Zurück zu VIVA! und der RSPCA. Hier haben wir eine Tierausbeutung unterstützende Organisation, die eine anderen Organisation der Unterstützung von Tierausbeutung beschuldigt. Ich kann kaum erwarten, dass VIVA! uns ein paar ihrer nicht vegan lebenden Prominenten auftischt, die uns erzählen, dass die RSPCA-Nichtveganer weniger ''mitfühlend'' als die Nichtveganer von VIVA! sind. Vielleicht kann PETA [People for the Ethical Treatment of Animals] einen ''mitfühlenden'' Schlammschlacht-Wettbewerb zwischen leicht bekleideten Nichtveganern von VIVA! und RSPCA sponsern. Alles für die Tiere.

Aber hinter jeder Wolke zeigt sich ein Silberstreif am Horizont. Sicher, ''Bio''-Tierprodukte sind nicht wirklich Bio (offenbar sofern sie nicht in einem von VIVA! beworbenen nichtveganen Restaurant serviert werden). Aber Sie können helfen. Direkt rechts neben der Anklage VIVA!s gegen die RSPCA findet sich die Lösung: ''Helfen Sie uns, Tiere zu retten. Machen Sie eine Spende an VIVA!'' und Sie können einen Betrag einsetzen und auf ''Spenden'' klicken.

Oh ja, der standardmäßige Refrain der großen Tierschutzgruppen: Die Lage der Tiere ist schlecht, aber wir können sie verbessern. Schicken Sie uns Geld und wir lösen das Problem. Wir ''retten Tiere.''

Das ist natürlich ein Hirngespinst. Das Einzige, was Sie retten, indem Sie auf ''Spenden'' klicken, ist der Job der Leute, die für VIVA! arbeiten. (...) Sie können .. helfen, aber nicht dadurch, irgendjemandem Geld zu schicken. Sie brauchen keine Organisation oder auf ''Spenden'' zu klicken. Die großen Tierschutzunternehmen stehen dem Wandel im Weg, sie erleichtern ihn nicht.

Sie brauchen nur Ihre Entscheidung, das Richtige zu tun, zu treffen, und vegan zu leben

In einem können Sie sich sicher sein: Wenn Sie nicht vegan leben, beteiligen Sie sich direkt an Tierausbeutung. Es gibt keinen moralisch schlüssigen Unterschied zwischen Fleisch und anderen Tierprodukten. Es steckt ebenso viel Leiden in einem Glas Milch oder Stück Käse, serviert in einem von VIVA! unterstützten ''Bio''-Ausbeutungsrestaurant, wie in dem Fleisch, das mit einem ''Bio''-Label verkauft wird. Und alle Tiere, ob für Fleisch oder Milch oder was auch immer genutzt, enden ihr Leben inmitten des Lärms und Elends irgendeines grässlichen Schlachthauses.

Wenn Sie nicht vegan leben: Fangen Sie damit an. (...) Veganismus ist ... das moralisch Richtige und Gerechte. (...)

Wenn Sie vegan leben, dann klären Sie andere über Veganismus auf. Ihr eigener Veganismus und Ihre Bemühungen in kreativer, gewaltloser Aufklärung über Veganismus sind die wirkungsvollsten Wege, [Tieren] zu helfen.

Die Welt ist vegan! Wenn Du es willst.


Gary L. Francione
©2010 Gary L. Francione

Thursday 21 October 2010

VIVA!s Antwort und meine Stellungnahme

von Gary L. Francione Blog

Liebe KollegInnen,

Ich hatte einen Essay über die in der The Sunday Mail (einer britischen Zeitschrift) berichteten Bemerkungen von ViVA! [Vegetarians International Voice for Animals] gepostet, in denen es um den Verkauf von Fleisch von Tieren, die nach der Halal-Methode geschlachtet wurden, in Großbritannien ging.

Eine ''Antwort von VIVA!'' wurde auf Opposing Views gepostet, wo mein Essay nachgedruckt worden war:
Gary, vielleicht interessiert es Sie, dass The Daily Mail nicht mit VIVA! gesprochen hat. Sie hat ein Zitat von unserer Website genommen. Rituelle Schlachtung ohne vorausgehende Betäubung hat ist als grausamer [als andere Schlachtmethoden] erwiesen, aber wir sind gegen alles Schlachten. Natürlich gibt es so etwas wie ''humane Schlachtung'' nicht.

Wir versuchen bei jeder Gelegenheit, Veganismus als die ethischste Wahl des Handelns, um Tiere zu schützen, voranzutreiben. Sie müssen allerdings verstehen, dass die Medien ihre eigene Agende haben. Wenn wir mit The Daily Mail gesprochen hätten (wir haben es inzwischen getan), hätten wir uns dabei, Veganismus voranzutreiben, den Mund fusselig reden können. Die drucken, was sie drucken wollen. Bitte bedenken Sie das, bevor Sie uns oder andere Gruppen in Zukunft kritisieren. Danke.

- Justin Kerswell September 21, 2010 11:06AM
Ich kann bestätigen, dass diese Antwort tatsächlich die von VIVA! ist. Hier ist meine:

Lieber Justin,

vielen Dank für Ihre Antwort. Bedauerlicherweise geht sie nicht auf meine Bedenken ein, außer insofern sie sie bekräftigt.

Islamophobie und Halal-Schlachtung

Wenn wir annehmen (und ich tue es), dass was Sie sagen, der Wahrheit entspricht und The Sunday Mail nicht mit VIVA! gesprochen, sondern das Zitat von der Website des Vereins genommen hat, dann ist die Sache tatsächlich schwerwiegender, insofern die VIVA! zugeschriebenen fremdenfeindlichen Bemerkungen nicht als irgendeine aus dem Kontext gerissenes Äußerung beschrieben werden können, sondern vielmehr ein wohl überlegtes, die Politik des Vereins repräsentierendes Statement. Im Licht der grassierenden Islamophobie in Großbritannien (und überall sonst) wäre es vielleicht eine gute Idee, dieses Statement von Ihrer Website zu entfernen. Es hilft nichts zu sagen, dass VIVA! Multikulturalität unterstützt, wenn der Verein Bemerkungen wie diese macht, insbesondere angesichts dessen, dass wir beide wissen, dass Tiere, die betäubt werden, oft, wenn nicht sogar üblicherweise nicht richtig betäubt werden. Deshalb ist mir schleierhaft, warum Sie es für irgend sinnvoll erachten, einen Unterschied zwischen Halal-Schlachtung und konventioneller Schlachtung zu machen.

Die VIVA! zugeschriebene Feststellung, von der Sie sich nicht distanzieren: ''Konsumenten können ihren Teil .. beitragen, indem sie Orte boykottieren, die fortdauernd Fleisch von unbetäubten Tieren verkaufen'' sendet überdies eine ausdrückliche, klare Botschaft, dass das Problem Halal- (oder Koscher-)Schlachtung ist und die Lösung darin besteht, Fleisch von unbetäubten Tieren zu boykottieren. Eine sehr viel bessere Aussage wäre gewesen: ''Konsumenten, die dieses Problem kümmert, sollten überlegen, ob sie überhaupt irgendwelche Tierprodukte konsumieren sollten, weil alle Tierprodukte das Resultat des Quälens und nicht zu rechtfertigenden Tötens von Tieren sind.'' Wie ich sagte, hat VIVA! eine Gelegenheit versäumt, hier aufzuklären. Um es noch einmal zu sagen, angesichts der Tatsache, dass Tiere, die betäubt werden, oft nicht betäubt sind, ist die von Ihnen gemachte Unterscheidung ihren eigenen Bedingungen gemäß unhaltbar und nicht nur in Bezug auf den größeren Kontext, dass das Problem die Nutzung von Tieren ist und nicht eine bestimmte Art der Behandlung oder Ausbeutung von Tieren durch eine bestimmte Gruppe von Menschen.

VIVA! und Veganismus

Ihre Aussage, dass ''wir.. bei jeder Gelegenheit (versuchen), Veganismus als die ethischste Wahl des Handelns, um Tiere zu schützen, voranzutreiben'', ist schlicht nicht zutreffend.

Fakt ist, dass VIVA! aktiv für Vegetarismus als moralisch schlüssige Alternative dazu, ein Allesesser zu sein, auf seinen Websites Werbung macht (der Verein hat Filialen in mehreren Ländern), und Veganismus als etwas Optionales darstellt, dass Menschen tun können, wenn sie weiter gehen wollen. In dem Maß, in welchem VIVA! Fleisch von anderen Tierprodukten unterscheidet, hält der Verein die Vorstellung am Leben, dass es einen moralisch schlüssigen Unterschied gibt, und wir wissen beide, dass dies Unsinn ist. Milch und Eier sind für ebenso viel, wenn nicht mehr Leiden verantwortlich, und alle Tierprodukte, egal, wie sie produziert werden, sind das Ergebnis des Tötens von Tieren. Vegetarismus anstelle von Veganismus zu fördern ist logisch nichts Anderes als das Essen von Fleisch von gescheckten Kühen anstelle von braunen Kühen zu fördern. Die von VIVA! angeführte Begründung ist genau die gleiche, die zur Unterstützung von Kampagnen wie die gegen das Essen von Kalbfleisch bemüht wird. Es gibt keinen Unterschied zwischen Kalbfleisch und anderem Tierfleisch oder zwischen Fleisch und anderen Tierprodukten.

Die britische VIVA!-Website verkauft Kochbücher, die Rezepte mit Tierprodukten enthalten, und macht Werbung für Restaurants, die Tierprodukte servieren. Wie können Sie angesichts dessen sagen, dass Sie ''bei jeder Gelegenheit Veganismus vorantreiben'? Das ist eine rhetorische Frage. Indem Sie diese Bücher und Unternehmen fördern, richten Sie eine klare Aussage an die Öffentlichkeit: dass es einen Unterschied zwischen Fleisch und anderen Tierprodukten gibt.

Nicht nur befördert VIVA! die Vorstellung, dass Vegetarismus eine sinnvolle Alternative dazu, ein Allesesser zu sein, darstellt, der Verein hält zudem den Unfug aufrecht, dass vegan zu leben schwierig oder ''abschreckend'' (ein von VIVA! auf seiner Facebook-Seite gebrauchter Ausdruck) und Vegetarismus eine Art Einsteg [in den Veganismus] sei. Derlei leistet nichts anderes, als die Propaganda zu verstärken, dass Veganismus eine extreme Position sei, die nur von Übermenschen erreicht werden könne. Es ist genau diese Einstellung, durch welche die Öffentlichkeit von Veganismus abgeschreckt wird und die zu der großen Zahl von ''Tierschutzleuten'' beiträgt, die nie begonnen haben, vegan zu leben. Wenn für uns feststeht, dass Veganismus die moralische Grundlinie ist, dann sollten wir das auch feststellen, und jene, die [noch] nicht bereit sind, vegan zu leben, werden welchen Zwischenschritt auch immer machen, aber zumindest ist die Botschaft klar.

Wenn VIVA! wirklich Veganismus fördert, warum macht der Verein dann auf seiner Website Aussagen wie diese: ''VIVA! lehnt jegliches Schlachten ab und wir fördern Vegetarismus als den einzigen wahrhaft wirkungsvollen Weg, das Leiden von Tieren zu verhindern''? Wir werden das Leiden nicht dadurch abstellen, dass wir lediglich Vegetarier werden. Wenn Veganismus wirklich auf Ihrer Agenda steht und nicht nur eine optionale (und ''abschreckende'') Änderung des Lifestyles ist, warum dann machen Sie solche Aussagen, die die Leute nur verwirren? So, wie die Dinge stehen, würde jeder Leser von VIVA!s Website diese mit der Vorstellung verlassen, dass Vegetarismus eine einwandfreie moralische Position ist; dass Fleisch ''schlimmer'' als Milch ist und Veganismus eine Option – und eine schwierige und ''abschreckende'' zumal –, aber keine moralische Grundlinie. Wie viele von VIVA!s Mitgliedern sind Stammkunden von Restaurants, für die Sie Werbung machen, und konsumieren dort Milch und Käse? Wie viele kaufen VIVA!s nicht-vegane Kochbücher und kochen Gerichte, die Tierprodukte enthalten?

Jene, die wirklich die Abschaffung der Tierausbeutung anstreben, sollten damit aufhören, sich an der ''Veganismus ist ja sooooo schwierig''-Propaganda zu beteiligen und die Idee von Vegetarismus (oder anderer Einzelthema-Kampagnen) als ''Einstieg'' in den Veganismus verwerfen. (Um mehr zu diesem Thema zu erfahren, hören Sie meinen Kommentar und lesen Sie meine Essays Some Comments on Vegetarianism as a ''Gateway'' to Veganism [Einige Bemerkungen zum Vegetarismus als ''Einstieg'' in den Veganismus], ''Gateway'' Arguments [''Einstiegsargumente''] und ''Vegetarianism First?'' [Zuerst Vegetarismus?]; letzterer wurde in The Vegan veröffentlicht.)

Zuletzt: Ihre Website betont Masssentierhaltung als das Problem – als ob dieses darin bestünde, wie Tierprodukte gemacht werden, und nicht, dass sie überhaupt gemacht werden. Dies trägt zur Verwirrung der Öffentlichkeit bei und verstärkt die Vorstellung, dass das Problem die Behandlung, nicht die Nutzung von Tieren ist.

Mein Ersuchen an VIVA!

1. Mit einem Wort, ich bleibe besorgt darüber, dass Ihre Kommentare über Halal-Schlachtung, insbesondere im gegenwärtigen [politischen] Klima, islamophobisch sind, und ich ersuche Sie, auf Ihrer Website klarzustellen, dass nicht Halal-Schlachtung das Problem ist, sondern jegliche Nutzung von Tieren. Ich ersuche Sie, alle Tierausbeutung in ein Boot zu setzen und nicht ein separates Boot für Muslime (oder Juden) zu konstruieren.

2. Wenn Veganismus Ihre wirkliche Agenda ist, ersuche ich Sie, damit hervorzutreten und es zu sagen und aufzuhören, das Hirngespinst aufrechtzuerhalten, dass Fleisch in irgendeiner Weise ''schlimmer'' als Milch oder andere Tierprodukte ist.

3. Ich ersuche VIVA!, damit aufzuhören, Veganismus als etwas Schwieriges oder Abschreckendes darzustellen. Das ist es nämlich nicht. Tatsächlich ist es, vegan zu leben, ziemlich leicht und heutzutage kann man zu fast allen Nahrungsmitteln tierlicher Herkunft, die man mag, vegane Alternativen bekommen. Wie wäre es mit einer ''Veganismus ist leicht''-Kampagne von VIVA!?

Um es zu wiederholen: Wenn Sie Veganismus zur eindeutigen moralischen Grundlinie machen, mögen jene, die über dieses Problem [der Tierausbeutung] besorgt sind, wählen, weniger zu tun [als vegan zu leben], aber sie könnten zumindest nicht auf VIVA! verweisen und einigermaßen zutreffend behaupten, dass Sie einen Stempel der Gutheißung auf die Wahl, weiterhin ''weniger schlimme'' Tierprodukte zu konsumieren, drücken.

4. Ich bitte VIVA! darum, aufzuhören, Kochbücher zu verkaufen, die den Gebrauch von Tierprodukten fördern, und für Restaurants Werbung zu machen, die Tierprodukte servieren.

Vielen Dank.
Gary

Gary L. Francione
Professor, Rutgers University

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Nachtrag vom 26. September 2010

In einer zusätzlichen, auf Opposing Views geposteten Antwort stellt VIVA! fest:
In jedem Fall definieren wir vegetarisch als vegan ´– insoweit als wir für Veganismus als ethischste aller Ernährungsformen eintreten, aber wir erkennen an, dass Menschen dorthin in ihrer jeweils eigenen Gangart gelangen.
Diese Behauptung ist faktisch inkorrekt. VIVA!s Materialien und Website unterscheiden kontinuierlich und konsequent zwischen ''vegetarisch'' und ''vegan''. Der Verein definiert ''vegetarisch'' nicht als ''vegan''.

Überdies bedarf es, wenn VIVA! für Veganismus eintreten will, keiner sprachlichen Konfusion – verwenden Sie einfach ''vegan''.

Und wie ich oben bereits feststellte, können wir anerkennen, dass die Menschen ''in ihrer jeweils eigenen Gangart (dorthin) gelangen'', ohne das Zugeständnis zu machen, dass das ''Dort'' irgendetwas Geringeres als Veganismus ist. Gegenwärtig sendet VIVA! die Botschaft, dass es eine moralisch schlüssige Unterscheidung zwischen Fleisch und anderen Tierprodukten gibt. Es gibt keine.

Abschließend sehe ich, dass VIVA! nach heutigem Stand immer noch Kochbücher mit nichtveganen Rezepten verkauft und für Restaurants, die nichtveganes Essen servieren, Werbung macht. Das spricht Bande.

Friday 24 September 2010

Eine verpasste Gelegenheit

von Gary L. Francione Blog

Liebe KollegInnen,

Es macht mich immer traurig, wenn eine [Tiere betreffende ] Streitfrage in den Nachrichten kommt und Anwälte der Tiere die Chance verpassen, die Öffentlichkeit über Veganismus aufzuklären, weil sie stattdessen lieber auf den Zug des Neuen Tierschutzes aufspringen und den Menschen ein besseres Gewissen bei der Ausbeutung von Tieren verschaffen.

Die britische Zeitung The Mail on Sunday brachte heute eine Story, in der sie berichtete, dass ein großer Teil des in Großbritannien servierten Fleisches halal ist – das Tier wurde dem islamischen Gesetz gemäß geschlachtet. Halal ist das Gleiche wie das jüdische Schlachtritual Kaschnut [jüdische Speisegesetze] und bedeutet, dass ein tiefer Schnitt in den Hals des Tieres gemacht wird, der die Halsschlagader auf beiden Seiten durchtrennt, aber das Rückenmark intakt lässt [Schächten]. So geschlachtete Tiere werden nicht betäubt, und Halal- und Koscher-Schlachtung wird als grausamer kritisiert, als eine, die mehr Schmerzen und Leiden verursacht, als die Schlachtmethode mit Betäubung, die das Tier bewusstlos machen soll, bevor die eigentliche Tötung erfolgt.

Viele Menschen in Großbritannien sind aufgebracht ob des Gedankens, dass das Fleisch, das sie essen, von Tieren stammt, die nicht ''human'' getötet wurden.

Ich würde behaupten, dass kein Tier, von irgendjemandem in Großbritannien oder irgendwo sonst auf der Welt konsumiert, in einer Weise behandelt und getötet worden ist, die ''human'' genannt werden könnte, ohne das Wort in obszön missbräuchlicher Weise zu verwenden.

Die Story lieferte Anwälten der Tiere also die Gelegenheit, der besorgten Öffentlichkeit zu erklären, dass es so etwas wie ''human'' produziertes Fleisch nicht gibt, dass alles Fleisch – und alle Tierprodukte – von Tieren stammen, die selbst unter den besten Bedingungen gequält worden sind. Und wir können das Töten von Tieren unter keinen Umständen rechtfertigen, wenn die einzige Rechtfertigung, die wir haben, ist, dass sie gut schmecken.

Haben die Anwälte der Tiere von dieser Gelegenheit Gebrauch gemacht?

Mitnichten.

Stattdessen beschrieben sie das Problem als eines, bei dem es um eine Praktik einer bestimmten Religion geht. Zum Beispiel wird VIVA! [Vegetarians International Voice for Animals] in dem Artikel wie folgt zitiert:

Andere Praktiken, die aus religiösen Gründen ausgeübt werden mögen, wie Polygamie oder das Steinigen von Ehebrecherinnen, sind im Vereinigten Königreich nicht erlaubt.

Die Freiheit der Religion hat keinen Vorrang vor anderen moralischen Erwägungen, und das Leiden, das diese Form der Schlachtung verursacht, ist so gravierend, dass es uns nicht gestattet, nichts dagegen zu unternehmen. Konsumenten können ihren Teil dazu beitragen, indem sie Orte boykottieren, die fortdauernd Fleisch von unbetäubten Tieren verkaufen.

Ich finde es furchtbar traurig, dass VIVA! entschieden hat, dieses Problem als das einer muslimischen Praktik darzustellen, die Art und Weise betreffend, wie Tiere geschlachtet werden, nicht, dass sie überhaupt geschlachtet werden. Leider haben Muslime kein Monopol darauf, Tiere zu misshandeln, und VIVA!s Kommentare ermutigen Islamophobie, die in den USA und Großbritannien bereits grassiert. Und wie bereits erwähnt, verwenden Juden eine gleichartige Schlachtmethode, und das Schlachten mit Betäubung, von dem jeder denkt, es sei so viel besser als was Muslime und Juden praktizieren, ist gleichfalls wirklich grässlich.

Es ist nichts als ein bloßes Hirngespinst, zu glauben, es gebe irgendeinen bedeutsamen Unterschied zwischen Halal-Fleisch und ''humanem'' Fleisch . Alles dies schließt Qualen und Tod ein. Es ist schlicht unehrlich, die Vorstellung zu verewigen, dass wir gleichzeitig Tiere als Mitglieder der moralischen Gemeinschaft betrachten und fortfahren können, sie und aus ihnen gemachte Produkte zu essen.

Jeder, der Tiere konsumiert, sitzt, fürchte ich, gewissermaßen im selben Boot. Es gibt kein speziell für Muslime oder Juden konstruiertes Boot. Indem wir halal oder kashrut kritisieren, tun wir so, als ob es einen moralisch bedeutsamen Unterschied [zwischen diesem und anderem Fleisch] gibt und als ob jene, die Fleisch von betäubten Tieren essen, moralisch überlegen seien, weil sie sich mehr um Tierschutz sorgen. Wir beteiligen uns wider einmal an der Lieblingsbeschäftigung des Neuen Tierschutzes, Menschen zu einem guten Gewissen bei der Ausbeutung von Tieren zu verhelfen, solange es ''human'' und mit Rücksicht auf den ''Tierschutz'' geschieht.

Ich sollte erwähnen, dass viel von dem in den USA, besonders im Nordosten, verkauften Fleisch aus koscherer Schlachtung stammt; das gleiche Problem existiert also auch auf dieser Seite des Atlantik.

In jedem Fall besteht die Lösung nicht darin, dass Sie Fleisch von betäubten Tieren kaufen oder Orte boykottieren, die Halal- oder koscheres Fleisch verkaufen.

Die Lösung ist, dass Sie sich fragen: Wenn mich das Problem kümmert, wenn ich Tierquälerei und unnötiges Töten ablehne, warum esse ich dann irgendwelches Fleisch oder irgendwelche Tierprodukte?

Die Antwort darauf ist, dass Sie entweder einräumen, sich nicht wirklich darum zu scheren oder anfangen, ernsthaft daran zu denken, vegan zu leben.

Es ist eine Schande, dass Gruppen wie VIVA! darauf beharren, dass Veganismus etwas für den Durchschnittsmenschen zu Abschreckendes sei, um es verstehen zu können. Das ist es keineswegs, und diese gängelnde Haltung wird zu einer selbst erfüllenden Prophezeiung und fördert die Darstellung von Veganismus als ''extrem''.

Was schwer zu verstehen ist: wie eine soziale Bewegung, die Tierausbeutung vorgeblich ablehnt, sich weigern kann, für Veganismus als moralische Grundlinie einzutreten, und sich stattdessen damit begnügt, ''Bio-Fleisch'', ''Bio-Milch'' und ''Bio-Eier'' als Produkte, die solchen aus Massentierhaltung vorzuziehen sind, zu bewerben oder die Vorstellung zu verewigen, es gebe einen bedeutungsvollen moralischen Unterschied zwischen Fleisch und anderen Tierprodukten.

Wenn Sie nicht vegan leben: fangen Sie damit an. Es ist ... das moralisch Richtige und Gerechte.

Gary L. Francione
©2010 Gary L. Francione



Sunday 19 September 2010

Die ''Bio-Fleisch''*-Bewegung und die Partnerschaft von Tierschutz und Tierindustrie

von Karin Hilpisch und James Crump

* Fleisch steht hier stellvertretend für alle Produkte tierlicher Herkunft.

Tierschutz legitimiert Tiernutzung

In seinen Büchern, Artikeln und Essays hat Gary L. Francione umfassend und eingehend den rechtlichen Status von Tieren als Eigentum analysiert, der in Gesetzen, welche die Tiernutzung regulieren, verankert ist, und durch jede Reform des Tierschutzes bestätigt und verstärkt wird.

Jeff Perz drückt es in einem Internetforum so aus: ''Einer der Gründe, warum Abolitionismus eine Kritik des Tierschutzes einschließt, ist, dass jedes Mal, wenn ein neues Tierschutzgesetz verabschiedet wird, der Eigentumsstatus anderer Tiere um so mehr kodifiziert und um so tiefer verwurzelt wird.'' (1) Und Dan Cudahy notiert in seinem Blog:''Mehr und mehr Regulierungen erweitern die regulative Struktur der Tierausbeutung, letztlich gestützt durch mehr Bürokratie, mehr Inspekorenstellen und mehr 'Legitimität' des gesamten Unternehmens Tierausbeutung, die Tiere immer tiefer im Status als Eigentum und Ware verwurzelnd.'' (2)

Dies ist unweigerlich so, weil Tierschutzreformen darauf abzielen, die Behandlung von Tieren zu verbessern, ihre Nutzung durch den Menschen aber nicht in Frage stellen. Tatsächlich ''(machen) Kampagnen für Tierschutzreformen .. nur Sinn, wenn die Nutzung von Tieren moralisch zulässig und das einzige Problem ist, wie wir die Tiere behandeln, die wir nutzen.'' Francione, Der Kontext macht den Unterschied.


Es versteht sich von selbst, dass die Legitimierung der Nutzung von Tieren und damit die Verstärkung ihres Eigentumsstatus der Abschaffung der Tierausbeutung diametral entgegenwirkt.

In seinem Blog schreibt Francione: ''In einem großen Teil meiner Schriften habe ich argumentiert, dass die Unterstützung des 'Bio-Fleisch'-'Ansatzes ['happy meat' approach] nicht nur dazu geführt hat, dass sich die Öffentlichkeit beim Konsum von Tierprodukten wohler fühlt [i. e. ein weniger schlechtes oder gutes Gewissen hat], sondern ebenso zu einer verstörenden Partnerschaft zwischen Anwälten der Tiere und institutionellen Tierausbeutern.''

Die rückschrittliche und kontraproduktive ''Bio-Fleisch''-Bewegung ist auch Gegenstand von Franciones Blogessay ''Bio-Fleisch'': Menschen sich beim Essen von Tieren wohler fühlen lassen, in dem auf weitere Bloeeinträge zu diesem Thema verwiesen wird.

Tierschutz und Tierindustrie: gute Geschäfte und gemeinsame Interessen

Ein ebenso anschauliches wie bestürzendes Beispiel der Partnerschaft zwischen Tierschutz und Tierindustrie bildet das Abkommen zwischen People for the Ethical Treatment of Animals (PETA) und Kentucky Fried Chicken (KFC) über das Vergasen von Hühnern, das sogenannte Töten in kontrollierter Atmosphäre [controlled atmosphere killing / CAK], ein Abkommen, in dem es ''keine Meinungsverschiedenheiten darüber, wie Tiere behandelt werden sollten'' gab und in dem eine Tierschutzorganisation als unbezahlte Werbeagentur eines Tod verkaufenden Unternehmens, als unentgeltlicher Berater der Tierindustrie darüber, wie sie ihre Profite steigern kann, figurierte. Aber auch PETA kam bei diesem Deal mit KFC auf seine Kosten: einen ''gewaltigen Sieg'' für den Tierschutz verkündend, kann sich die Organisation (''die Hälfte unserer Mitglieder ist vegetarisch und die andere Hälfte hält es für eine gute Idee'' ) eines stetigen Spendenflusses sicher sein.

Aber es wäre unfair, PETA in dieser Hinsicht herauszustellen, ohne zu erwähnen, dass The Humane Society of the United States (HSUS) – die größte und mächtigste Tierschutzorgaisation in Amerika – sich ebenfalls als Vertriebsabteilung und als Wirtschaftsberater der Tierindustrie betätigt, jenes durch das Bewerben ''humaner'' Tierprodukte, dieses durch das Erstellen von Wirtschaftlichkeitsberechnungen, welche im Detail die höhere Rentabilität zum Beispiel der Gruppenhaltung von Sauen gegenüber dem Kastenstand aufführen. Siehe hierzu Ein ''Triumph'' des Tierschutzes?. Darüber hinaus fahren PETA und HSUS Millionen Spendengelder ein mit der systematischen Falschdarstellung der Natur von Tierschutzkampagnen. Obwohl Tierschutzreformen ausnahmslos auf erhöhte Ausbeutungseffizienz gegründet sind und von der Industrie aus wirtschaftlichen Gründen ohnehin eingeführt würden, werden sie von PETA und HSUS nichtsdestoweniger als große ''Siege'' und ''Erfolge'' für die Tiere porträtiert.

Aber das Zusammenspiel zwischen Tierschutz und Tierindustrie gedeiht nicht nur auf der anderen Seite des großen Teichs.

Die ''Bio-Fleisch''-Bewegung in Österreich: eine Fallstudie

2008 wurde eine programmatische Schrift in deutscher und englischer Fassung mit dem Titel ''Abschaffung versus Reform oder: Welche Kampagnen führen letztendlich zu Tierrechten?'' (3) / ''Abolitionism versus Reformism or which type of campaign will lead to abolition everntually?'' (4) in Internet verbreitet (und von Francione kritisch kommentiert, siehe: Ein ''sehr neuer Ansatz'' oder einfach mehr Neuer Tierschutz?, verfasst vom Obmann des in Österreich ansässigen Vereins gegen Tierfabriken (VGT), Martin Balluch. In dieser Schrift legt der Autor die Auffassung dar, dass zwischen Tierschutz und Tierrechten eine philosophische Kluft, zugleich aber ein politisches und psychologisches Kontinuum besteht, das heißt eine kontinuierliche Entwicklung der Gesellschaft und des einzelnen Menschen von der regulierten Tierausbeutung zur Abschaffung der Tierausbeutung, das heißt vom Tierschutz zu Tierrechten.

Diese Entwicklung begreift Balluch als eine, in welcher der Tierschutz eine psychologisch und politisch unabdingliche Rolle speilt und daher nicht 'übersprungen' werden kann. Folgerichtig sieht er die Förderung des Veganismus als einzigen Weg zur Abschaffung der Tierausbeutung als ''zum Scheitern verurteilt''. Diese Sichtweise manifestiert sich in einer Vereinspolitik der massiven Förderung ''humaner'' Ausbeutungspraktiken und -produkte auf allen Ebenen:

Kampagnen

— ''Stroh macht froh'': Eine Kampagne, die den Konsumenten von Schweinefleisch die Vorzüge der Schweinehaltung auf Stroh anstatt auf Spaltenböden vermittelt; (5)

— Werbung für Boden- und Freilandhaltung von Hühnern und Kaninchen (6)

– Werbung für ''Bio-Eier'', die ''Käfig-Eiern'' als ethische Alternative zu einem ''Produkt, für welches leidensfähige Lebewesen wie Eiermaschinen gnadenlos ausgebeutet werden'', gegenübergestellt werden. (7) (Man 'vergisst' zu erwahnen, dass auch für ''Bio-Eier'' leidensfähige Lebewesen gnadenlos ausgebutet werden.)

— eine Initiative zur Verleihung des ''Good Egg Award'' an österreichische ''Firmen, die sich beim Umstieg weg von Käfigeiern [hin zu Eiern aus Boden- oder Freilandhaltung] besonders verdient gemacht haben.'' (8)

In den USA loben PETA und andere Tierschutzgruppen öffentlich eine Einzelhandelskette für den Verkauf der Leichen ''human'' gezüchteter und geschlachteter Tiere. (9) Siehe hierzu: ''Bio-Fleisch...'': ein Schritt in die richtige Richtung oder ''ein leichterer Einstieg zurück'' zum Essen von Tieren?

— Mit der Forderung von '' Anreizsysteme(n)' zur Nutzung nächstmöglicher Schlachthöfe'' (10) steht der VGT PETAs Verleihung seines ''Proggy Award'' an eine '''visionäre'' Schlachthus-Designerin in nichts nach. Siehe hierzu: ''Bio-Fleisch''...

Marketing

Der VGT vermarktet Tierprodukte, die nach den Richtlinien von ''Tiergerechtigkeit'' produziert werden, mittels einer ''Kontrollstelle für artgemäße Nutztierhaltung'', die 1995 von drei Tierschutzvereinen in Österreich ''als neutrale und unabhängige Überwachungsorganisation ins Leben gerufen (wurde)'''. Aufgabe dieser Einrichtung ist die ''Kontrolle, Zertifizierung und Überwachung von Produktionsbetrieben sowie Groß- und Zwischenhändlern im Hinblick auf die Übereinstimmung mit den Richtlinien'' gemäß ''von Fachleuten entwickelten Kriterien rund um artgerechte Hühnerhaltung''. Produkte aus solcher Haltung werden mit dem geschützen Markenzeichen ''tierschutzgeprüft'' zertifiziert. (11)

Gütesiegel, welche die ''humane'' Behandlung von Tieren zertifizieren und von Tierschutzgruppen beworben werden, ermuntern die Bevölkerung zum Konsum von Tierprodukten, was zu einer Steigerung der Nachfrage nach diesen und zu erhöhten Profiten der Anbieter führt.

Als Balluch zusammen mit neun anderen Aktivisten im letzten Jahr verhaftet wurde und drei Monate im Gefängnis saß, wurde eine Reihe von offenen Briefen zur Unterstützung der Inhaftierten geschrieben. In einem davon lobt Toni Hubmann, ein ''Bio-Ei''-Landwirt, die Zusammenarbeit zwischen ihm, Balluch und zwei anderen Tierschützern, die seit 2002 in der oben erwähnten Kontrollstelle praktiziert wird. Hubmann schreibt: ''Jedwede Verbesserung oder Änderung im Nutztierbereich wurde von diesen Herren akzeptiert und im Einvernehmen mit den betroffenen Bauern und Vermarktern umgesetzt. Dies hat dazu geführt, dass die genannten Herren einen nicht unwesentlichen Anteil an der hohen Akzeptanz der Boden- und Freilandhaltung in Österreich haben.(...) Die Tierschutzorganisationen konnten mit ihren Mitarbeitern nicht nur Erfolge für die Weiterentwicklung des nationalen und internationalen Tierschutzes erzielen, sondern haben durch ihr Engagement mitgeholfen, zahlreichen kleinen bäuerlichen Betrieben ein ewirtschaftliche Existenz zu geben.'' (12) [Hervorhebung von uns]

Nachdem Produkte als ''tierschutzgeprüft'' zertifiziert wurden, werden sie in einem ''Einkaufsführer für Produkte aus artgemäßer Tierhaltung'' angepriesen: ''Der 'Verein gegen Tierfabriken' (VGT), der sich nunmehr seit mehr als fünf Jahren konsequent gegen die tierquälerische Massentierhaltung und die negativen Auswüchse der modernen Agrarindustrie für Tier und Mensch einsetzt, war andererseits auch immer die erste privat organisierte Ansprechadresse bei der Suche nach alternativen tierischen Produkten.'' ''Immer mehr Menschen bemühen sich daher um einen kulturellen Fortschritt im Umgang mit den Nutztieren und wollen ihnen als Gegenleistung für ihre 'Dienste' wenigstens ein erträgliches Leben vor dem Tod schenken.'' (13) Produkte ''aus artgemäßer Tierhaltung'' werden nicht nur angepriesen, sondern gelegentlich sogar an die Bevölkerung verteilt. (14)

Das System ändern, aber nicht das Denken?

Gegen die gesellschaftliche Verbreitung des Veganismus macht Balluch unter anderem geltend, dass ''viele Menschen, die vegan gelebt haben, in den Konsum von Tierprodukten zurückfallen.'' (15) Dafür gibt es allerdings mehr als ein Beispiel. Und dass dies so ist, hat wesentlich mit dem gesellschaftlichen Einfluss jener zu tun, die wie Balluch öffentlich verkünden, dass die vegane Lebensweise überaus ''mühsam'' und mit einem ''große(n) Energieaufwand'' verbunden ist. Aber solange Organisationen und Einzelne, die als Anwälte tierlicher Interessen wahrgenommen werden, an die Öffentlichkeit die Botschaft senden, dass das Konsumieren von Produtkten aus ''tiergerechter'' oder ''artgemäßer'' Haltung moralisch akzeptabel ist und unsere moralischen Verpflichtungen Tieren gegenüber mit der ''Humanisierung'' der Ausbeutung abgegolten sind, werden die meisten Veganismus erst gar nicht in Betracht ziehen.

Nach Balluch besteht die Aufgabe der Tierrechtsbewegung nicht darin, das Denken der Menschen, ihre Einstellung zu Tieren zu ändern, sondern ''das System'': ''Die Einstellung selbst der Mehrheit der Bevölkerung ist dahingegen sekundär.'' Mit dieser Auffassung befindet sich die Politik des VGT in voller Übereinstimmung. Sie ändert das Denken der Menschen nicht, sondern bestärkt sie in der Vorstellung, dass wir Tiere wirksam schützen und glechzeitig nutzen können. Aber ohne die Einstellung der Menschen gegenüber Teiren zu verändern, wird das ''System'', das aus Menschen besteht, sich niemals ändern.
Kämpfen für Tierrechte oder Ringen um Marktanteile? Der ''Feind'' ist ein Partner

In seiner Programmschrift führt Balluch aus, dass

— der Kampf um Tierrechte zwischen der Tierrechtsbewegung und der Tierindustrie als dem ''einzigen Feind im politischen Konflikt um die Erreichung von Tierrechten'', ausgetragen wird, wobei jede Partei die Öffentlichkeit, die diesem Konflikt zunächst unbeteiligt gegenüber steht, auf ihre Seite zu ziehen versucht;

– es das vordringliche Ziel der Tierrechtsbewegung sein muss, politischen Druck auszuüben, um schrittweise Reformen durchzusetzen, welche die Tierindustrie schwächen und schädigen.

Vor dem Hintergrund des oben Gesagten lässt sich allerdings schwer erkennen, inwiefern die Aktivitäten des VGT geeignet sein sollen, die Tierindustrie zu schwächen und zu schädigen. Wenn zwei Parteien so unentwirrbar verfilzt sind, wie es bei Tierschutz und Tierindustrie offensichtlich ist, dann kann diese Beziehung schwerlich als ''Konflikt'' beschrieben werden, sondern vielmehr als symbiotisch, zwei Seiten eines Ausbeutungssystems darstellend, mit der Folge, dass es für die Tiere keine Rolle spielt, auf wessen Seite sich die Öffentlichkeit schlägt. Temple Grandin, die ''visionäre'' Schlachthaus-Designerin, drückte es am treffensten aus, als sie feststellte, dass ''die richtige Handhabung von zu schlachtenden Tieren.. 'die Fleischindustrie sicher, effizient und rentabel am Laufen hält.'''(16)

Der Bio-Sektor landwirtschaftlicher Tierhaltung ist offenkundig nicht gemeint mit dem ''einzigen Feind'', welcher der Verwirklichung von Tierrechten im Weg steht. Aber es ist, mehr als alles andere, die Partnerschaft zwischen Tierschutz und Tierindustrie, die der Abschaffung der Tierausbeutung im Weg steht, weil in ihr beide Seiten gleichermaßen als Tierausbeuter figurieren. Es gibt keinen moralisch relevanten Unterschied zwischen einem ''Käfigei'' und einem ''Freilandei'' oder zwischen Fleisch von einem Schwein, das auf Spaltenboden, und einem, dass auf Sroh gehalten wurde. Wer die Nachfrage nach Tierprodukten fördert, ist nicht weniger ein Tierausbeuter als der, der sie deckt. Werbung für Tierprodukte zu machen behandelt Tiere ebenso als Ware, wie Produzenten und Konsumenten es tun. Es ist ebenso unmoralisch. Eine unmoralische Einrichtung – die Tierindustrie – kann nicht durch eine andere unmoralische Einrichtung – Tierschutz – bekämpft werden.

Organisationen wie der VGT sind die stärkste gesellschaftliche Kraft gegen die Verbreitung des Veganismus und die davon abhängige Abschaffung der Tierausbeutung.

KritikerInnen des Neuen Tierschutzes wird oft vorgeworfen, sie sprächen andersdenkenden AktivistInnen ihre ehrliche Überzeugung und guten Absichten ab. Darum geht es nicht. Es geht darum, zu beurteilen, ob das, was jemand tut, in einem logisch nachvollziehbaren, glaubhaften Zusammenhang mit dem steht, was er damit erreichen zu wollen behauptet. Dazu gehört das kritische Reflektieren auf die strukturellen Bedingungen seines Handelns, unter welchen dieses mit dem erklärten Ziel in Widerspruch geraten kann.

Allgemein gesagt kann eine Organisation, deren Tätigkeit Kosten verursacht, für deren Deckung sie auf Mitgliedsbeiträge und Spenden angewiesen ist, nicht unabhängig von den Interessen und Zielen ihrer Mitglieder und Spender agieren. Um fortzubestehen und zu wachsen, muss eine solche Organisation in Übereinstimmung mit den Interessen derjenigen handeln, deren Zuwendungen ihre finanzielle Basis bilden.

In Kontext von Tieranwaltschaft bedeutet dies: In einer Gesellschaft, in der 99 Prozent der Bevölkerung Tiere nutzen, hauptsächlich dadurch, Tierprodukte zu konsumieren, und dies für so notwendig, zumindest aber für so unproblematisch halten wie Atmen und Wasser trinken, rekrutiert sich die Mehrheit der Mitglieder und SpenderInnen einer Organisation, die als Anwalt für Tiere auftritt, zwangsläufig aus TiernutzerInnen. Dies wäre nur anders, wenn die Tätigkeit dieser Organisation ausschließlich und unzweideutig auf die gesellschaftliche Verbreitung des Veganismus gerichtet wäre oder wenn die Akzeptabilität von Mitgliedern, SpenderInnen und SponsorInnen an deren Veganismus gekoppelt wäre. Wo dies nicht der Fall ist, wird die Organisation unweigerlich im Sinne derer handeln, die Tiere nutzen und die, ohne Aufklärung darüber, warum es moralisch falsch ist, Tiere zu nutzen, dies auch weiterhin zu tun wünschen.

Mit anderen Worten, das Ziel, die Nutzung von Tieren abzuschaffen, kann von besagter Organisation aus Gründen ihrer Selbsterhaltung gar nicht ernsthaft verfolgt werden. Es ist mit den Bedingungen der Möglichkeit ihres Bestehens grundsätzlich unvereinbar. Und eine Einrichtung, welche die Grundlage der wirtschaftlichen Existenz von FunktionärInnen und Angestellten bildet oder von der diese in irgendeiner Weise wirtschaftlich profitieren, kann nicht als eine gedacht werden, die darauf angelegt ist, sich selbst ''überflüssig'' zu machen durch die Besteigung dessen, was sie vermeintlich notwendig macht. Deshalb geht die Politik einer mehrheitlich von NichtveganerInnen getragenen Organisation darauf aus, die Nutzung von Tieren moralisch akzeptabel erscheinen zu lassen, was Menschen ein gutes Gewissen dabei, es zu tun, verschafft.

Dass das Eintreten für Tiere, um auf die Abschaffung der Tierausbeutung hinarbeiten zu können, von finanzieller Unterstützung durch jene unabhängig sein muss, die an fortgesetzter Tiernutzung interessiert sind, versteht sich eigentlich von selbst. Oder sollte es zumindest. Eine Organisation, die für ihr Fortbestehen von der finanziellen Unterstützung durch jene, deren Interessen dem erklärten Ziel ihrer Politik entgegenstehen, abhängig ist, befindet sich in einem strukturellen Interessenkonflikt, der das, was die VertreterInnen der Organisation zur Verteidigung ihrer Politik vorbringen, ernsthafter Erwägung unwert macht.


Quellen: (Die URLs der die Aktivitäten des VGT betreffenden Quellen wurden nach dem Erscheinen dieses Essays geändert.]

(1) '' One of the reasons why abolitionism inevitably involves a critique of animal welfare is that, every time a new animal welfare law gets passed, the property status of other animals is that much more codified and entrenched.'' Jeff Perz in in einem nur Mitgliedern zugägnlichen Forum.
http://www.animalrightscommunity.com/abolitionists/viewtopic.php?f=7&t=287&st=0&sk=t&sd=a&start=20

(2) ''More and more regulations add a regulating structure to animal exploitation supported eventually by more bureaucracy, more inspector jobs, and more ‘legitimacy’ to the entire enterprise, entrenching animals ever deeper into property and commodity status.'' Dan Cudahy, ''Abolitionism versus New Welfarism: A Contrast in Theory and Practice''
http://unpopularveganessays.blogspot.com/

(3) Abschaffung versus Reform
http://www.vegan.at/warumvegan/tierrechte/abschaffung_vs_reform.html

(4) Abolitionism versus Reformism
http://www.vgt.at/publikationen/texte/artikel/20080325Abolitionism/index_en.php

(5) ''Stroh macht froh''
http://www.vgt.at/presse/news/2008/news20080314.php

(6) Freiland-Huhn
http://www.vgt.at/presse/news/2004/news20040409.php
Freiland-Kaninchen
http://www.vgt.at/publikationen/infomaterial/Kaninchen/071112_FB_kaninchen.pdf

(7) Ethische Alternative
http://www.vgt.at/presse/news/2004/news20040413.php

( 8) Good Egg Award
http://www.vgt.at/presse/news/2007/news20070321.php

(9) ''Lieber John, *
die unterzeichneten Tierschutz- und Tierrrechtsorganisationen möchten ihre Wertschätzung und Unterstützung für die bahnbrechende Initiative zum Ausdruck bringen, die von Whole Foods Market mit seinen Animal Compassionate [Mitgefühl für Tiere] Normen unternommen hat. Wir hoffen und erwarten, dass diese Normen das Leben von Millionen von Tieren verbessern wird.''
* John Mackey, Geschäftsführer von Whole Foods Market
http://www.abolitionistapproach.com/media/pdf/pr_01-24-05.pdf

(10) Anreizsysteme
http://www.vgt.at/presse/news/2008/news20080828.php

(11) Kontrolstelle
http://www.vgt.at/presse/news/2004/news20040401.php

(12) Offener Brief
http://www.vgt.at/actionalert/repression/prominente/offener%20Brief%20Toni%20Hubmann%20Juni%202008.pdf

(13) Einkaufsführer
http://www.vgt.at/presse/news/1997/news026.php

(14) ''Zusätzlich werden für die Passanten Flugblätter und 'Toni's Freiland-Ostereier' in Vierer-Packungen verteilt!''
http://www.vgt.at/presse/news/1998/news046.php

(15) ''Many people, who did turn vegan, fall back to consuming animal products.''
http://www.vgt.at/publikationen/texte/artikel/20080325Abolitionism/index_en.php

(16) ''According to Grandin, proper handling of animals that are to be slaughtered 'keep[s] the meat industry running safely, efficiently and profitably.'''
Gary L. Francione, Abolition of Animal Exploitation: The Journey Will Not Begin While We Are Walking Backwards
[''Die Reise beginnt nicht, solange wir uns rückwärts bewegen'']

Nachtrag:

KritikerInnen des Neuen Tierschutzes wird oft vorgeworfen, sie sprächen anders denkenden AktivistInnen ihre ehrliche Überzeugung und guten Absichten ab. Darum geht es nicht. Es geht darum, zu beurteilen, ob jemandes Handeln in einem logisch nachvollziehbaren, glaubhaften Zusammenhang mit dem Ziel steht, das er damit zu verfolgen behauptet. Dies erfordert kritisches Reflektieren auf die strukturellen Bedingungen jenes Handelns ein, unter welchen dieses mit dem erklärten Ziel in Widerspruch geraten kann.

Allgemein gesagt kann eine Organisation, deren Tätigkeit laufende Kosten mit sich bringt, die mit Mitgliedsbeiträgen und Spenden gedeckt werden, nicht unabhängig von den Interessen und Zielen ihrer Mitglieder und Spender agieren. Um fortbestehen zu können, muss eine solche Organisation in Übereinstimmung mit den Interessen derjenigen handeln, deren Zuwendungen ihre wirtschaftliche Basis bilden.

In Kontext der Anwaltschaft für Tiere bedeutet dies: In einer Gesellschaft, in der 99 Prozent der Bevölkerung Tiere nutzen, hauptsächlich dadurch, Tierprodukte zu konsumieren, und dies für so notwendig, zumindest aber für so normal und natürlich halten wie Atmen und Wasser trinken, rekrutiert sich die Mehrheit der Mitglieder und SpenderInnen einer Organisation, die als Anwalt für Tiere auftritt, zwangsläufig aus TiernutzerInnen. Dies wäre nur anders, wenn die Tätigkeit dieser Organisation ausschließlich und unzweideutig auf die gesellschaftliche Verbreitung des Veganismus gerichtet wäre oder wenn die sie nur vegane Mitglieder, SpenderInnen und SponsorInnen akzeptieren würde. Wo dies nicht der Fall ist, wird besagte Organisation unweigerlich im Sinne derer handeln, die Tiere nutzen und die, ohne Aufklärung darüber, warum es moralisch falsch ist, Tiere zu nutzen, dies auch weiterhin zu tun wünschen.

Mit anderen Worten, das Ziel, die Nutzung von Tieren abzuschaffen, kann von einer solchen Organisation aus Gründen ihrer Selbsterhaltung gar nicht ernsthaft verfolgt werden. Es ist mit den Bedingungen der Möglichkeit ihres Bestehens prinzipiell unvereinbar. Und eine Einrichtung, welche die Grundlage der wirtschaftlichen Existenz von FunktionärInnen, ManagerInnen u. a. Angestellten bildet oder von der diese in irgendeiner Weise wirtschaftlich profitieren, kann nicht als eine gedacht werden, die darauf angelegt ist, sich selbst ''überflüssig'' zu machen durch die Besteigung dessen, was sie vermeintlich notwendig macht. (Menschen, die für diese Einrichtungen arbeiten, haben finanzielle Verpflichtungen, die sie völlig abhängig von dem aus dieser Tätigkeit erzielten Einkommen machen.) Deshalb wird die Politik der Organisation darauf angelegt sein, der Öffentlichkeit so weit wie möglich entgegenzukommen, um einen steten Fluss finanzieller Unterstützung, hauptsächlich in Form von Mitgliedsbeiträgen und Spenden, zu sichern. Dies wird erreicht durch Kampagnen, welche die Nutzung von Tieren moralisch akzeptabel erscheinen zu lassen, um Menschen ein gutes/ besseres Gewissen dabei, es zu tun, zu verschaffen.

Das Eintreten für Tiere, das auf die Abschaffung der Tierausbeutung zielt, muss von finanzieller oder anderweitiger Unterstützung durch diejenigen unabhängig sein, die daran interessiert sind, Tiere fortgesetzt auszubeuten. Dies gilt für Einzelpersonen ebenso wie für Gruppen, und auch für ehrenamtlich Tätige. Eine Einzelperson oder Gruppe, die nicht unabhängig von der Unterstützung durch jene ist, deren Interessen dem erklärten Ziel ihrer Politik entgegenstehen, befindet sich in einem manifesten Interessenkonflikt, den die Person oder Gruppe dadurch zu umgehen sucht, dass sie ihr eigenes Interesse mit dem der Tiere gleichsetzt. Dabei handelt es sich natürlich um eine eigennützige Rationalisierung.

Ebenso wie es eine Selbsttäuschung wäre, einen Politiker zuzubilligen, dass er etwas Ernstzunehmendes über eine politische Angelegenheit zu sagen hat, aus der er einen finanziellen Nutzen zieht, beraubt der Interessenkonflikt, in dem sich Anwälte der Tiere befinden, das, was sie zur Verteidigung ihrer Politik zu sagen haben, der Autorität, deren es bedarf, um ernsthafter Erwägung wert zu sein.

Ein "sehr neuer Ansatz" oder einfach mehr Neuer Tierschutz?

von Gary L. Francione Blog

Martin Balluch, ein österreichischer Anwalt der Tiere und Präsident des Vereins gegen Tierfabriken VGT)in Österreich, hat einen von ihm verfassten Essay in Umlauf gebracht, den er mir gegenüber als einen "sehr neuen Ansatz" zur Tierrechte/ Tierschutz-Debatte bezeichnet hat.

Balluchs Essay ist lang und stellenweise verworren, aber die Grundthese ist ziemlich simpel:

Den abolitionistischen Ansatz zu verfolgen und abolitionistische Aufklärung über Veganismus anstatt regulierender Tierschutzreformen zu betreiben, ist laut Balluch "zum Scheitern verurteilt”, weil "(i)n einer so stark speziesistischen Gesellschaft wie der unsrigen.. es ein großer Energieaufwand (ist), vegan zu leben”, und "die vegane Lebensweise zu mühsam (ist), als dass sie auch nur eine politisch signifikante Minderheit jemals gleichzeitig annehmen und lange genug durchhalten würde." (1)

Worin besteht nun also der "sehr neue Ansatz", den Balluch vorschlägt?

Er ist der Auffassung, dass wir Tierschutzreformen unterstützen sollten. Balluch macht geltend, "dass es zumindest möglich... ist", dass Tierschutzregulierungen schließlich zur Abschaffung der Tierausbeutung (Abolition) führen, sowohl auf individueller wie auf gesellschaftlicher Ebene. Das heißt, die Unterstützung von Tierschutzreformen bringt psychologisch den Einzelnen zum Veganismus und lässt politisch die Gesellschaft sich in Richtung Abolition bewegen.

Mit einem Wort, Balluch schlägt mitnichten einen "sehr neuen Ansatz" vor.

Er schlägt lediglich das vor, was ich in meinem Buch Rain Without Thunder. The Ideology of the Animal Rights Movement und in anderen Schriften als Neuen Tierschutz identifiziert habe. Neuer Tierschutz ist die Ansicht, dass es zwischen Tierschutzreform und Abolition eine Kausalbeziehung gibt in der Weise, dass erstere zu letzterer führt und der beste (oder einzige) Weg ist, die Abschaffung der Tierausbeutung zu erreichen. Ich habe dargelegt, dass der Neue Tierschutz in moralischer wie in praktischer Hinsicht problematisch ist.

Moralisch gesehen ist der Neue Tierschutz problematisch, weil er bedeutet, dass Anwälte der Tiere, die behaupten, die Abschaffung der Tierausbeutung zu befürworten, für vermeintlich "humanere" Formen derselben kämpfen. (...) Wenn Tierausbeutung moralisch nicht zu rechtfertigen ist, sollte ein Anwalt der Rechte von Tieren nicht für "bessere" Arten und Weisen, etwas Falsches zu tun, werben.

Praktisch gesehen funktioniert Tierschutz schlicht nicht. Tierschutz bietet Schutz tierlicher Interessen nur in dem Maß, in dem es für uns wirtschaftlich vorteilhaft ist. Das sollte nicht überraschen, da Tiere Eigentum sind; sie sind Wirtschaftsgüter, die keinen Wert haben außer dem Wert, den wir ihnen verleihen. Tiere unterscheiden sich von unbelebten Dingen, die uns gehören, da sie, anders als diese, fühlende Wesen sind, die Interessen haben. Aber es kostet Geld, diese Interessen zu schützen, und wir sind im Allgemeinen nur das Niveau an Schutz zu "kaufen" bereit, das durch den wirtschaftlichen Wert tierlichen Eigentums gerechtfertigt ist. So mögen wir zum Beispiel verlangen, dass eine Kuh im Schlachthaus betäubt wird, bevor wir sie festketten, hochwinden und aufschneiden, aber wir tun dies, weil, wenn wir es nicht tun, die Kuh sich bewegt, Schlachthausarbeiter verletzt und Schaden an ihrem Körper verursacht, was die Qualität ihres "Fleisches" mindert.

Wir haben Tierschutz jetzt seit 200 Jahren und es gibt durchaus keinen Beleg dafür, dass Tierschutzreformen zur Abschaffung der Tierausbeutung führen. Tatsächlich beuten wir mehr Tiere auf schrecklichere Arten und Weisen aus als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit. Überdies gibt es die Tendenz, dass in dem Maß, in welchem die Öffentlichkeit der Meinung ist, Tiere würden "humaner" behandelt, deren fortgesetzte Ausbeutung ermutigt wird. Gegenwärtig sehen wir in den Medien eine Story nach der anderen, dass Menschen, die kein Fleisch oder andere Tierprodukte mehr aßen, damit wieder angefangen haben, weil sie glauben, dass Tiere infolge vermeintlicher Reformen im Tierschutz besser behandelt werden.

Balluch hat mich um eine Rückmeldung speziell zu seinem "sehr neuen Ansatz" gebeten. Ich nehme dazu folgendermaßen Stellung:

Aufkärung über Veganismus ist "zum Scheitern verurteilt"

Balluch argumentiert, dass es Zeitverschwendung sei, die Öffentlichkeit über Veganismus aufzuklären, weil man dies seit 130 Jahren in Österreich versucht und es nicht funktioniert habe. Ich kann nicht für die Situation in Österreich sprechen, aber die Bewegung für Tiere im Allgemeinen hat zu keiner Zeit für Veganismus als ihre klare und unzweideutige moralische Grundlinie geworben. Im Gegenteil wird Veganismus von führenden Anwälten der Tiere, wie Peter Singer, als "fanatisch" dargestellt. Singer spricht vom gelegentlichen Konsum tierlicher Produkte als von einem ''Luxus'' und vertritt die Auffassung, dass wir sogar eine Verpflichtung dazu, nicht vegan zu sein, haben mögen, wenn unser Vegansein andere verstimmt. Die Bewegung fördert aktiv ''Bio-Fleisch'' und ''Bio-Milch/ Eier'' und das Etikettieren von Tierleichen und Tierprodukten als "human" produziert, und sie verleiht Auszeichnungen an Designer von Schlachthäusern. Die Bewegung unterscheidet zwischen Fleisch und anderen Tierprodukten, wobei sie Ovo-Lacto-"Vegetarismus" als Standardposition betrachtet.

Die Bewegung für Tiere hat, mit Ausnahme von Pionieren wie Donald Watson, Veganismus konsequent marginalisiert. Es kann wirklich das Spendenaufkommen beeinträchtigen, wenn Sie den Leuten erzählen, dass Veganismus das Mindeste ist, was sie tun können, wenn sie die Interessen von Tieren ernst nehmen. Balluch räumt dies selber ein. Er stellt fest, dass österreichische Tierschutzgruppen 30 Mio Euro an Spenden jährlich einnehmen; "[e]inige bieten zusätzlich auch explizit vegane Kampagnen neben ihrer Reformtätigkeit an. Würden alle Tierschutzgruppen sich auf rein abolitionistische Kampagnen verlegen, sie würden drastisch auf die Größe veganer Gesellschaften schrumpfen und all ihren Einfluss und ihre Möglichkeiten, auch für Veganismus zu werben, verlieren." Wir können also nicht Abolition und Veganismus vorantreiben, weil das die Spenden zurückgehen lassen und dem ein Ende setzen würde, was auch immer als veganer Aktivismus von jenen Tierschutzgruppen unterstützt wird. Balluchs Argumentationsweise ist atemberaubend.

Doch obwohl Balluch sich im Irrtum befände zu behaupten, dass Veganismus jemals die Grundlinie der Bewegung gewesen ist, würde dieser Irrtum seine Analyse nicht beeinträchtigen, weil, ihm zufolge, selbst wenn die gesamte Bewegung dem Veganismus verpflichtet wäre und ihn als klare und unzweideutige moralische Grundlinie verträte, dies ohne Bedeutung wäre. Die Menschen werden [Balluch zufolge] einfach nicht vegan, weil die Gesellschaft speziesistisch und es für die meisten zu schwierig ist, vegan zu leben. Die Öffentlichkeit "schwimmt einfach mit dem Strom und wählt den Weg des geringsten Widerstands." [1]

Wir sollten allerdings die Hoffnung laut Balluch nicht verlieren, der spekuliert, "dass es zumindest möglich, wenn nicht sogar statistisch sehr wahrscheinlich ist, dass sich ein Mensch psychologisch von der Tiernutzung über den Tierschutz zum Tierrecht entwickelt." Das heißt, wenn wir Menschen dazu ermutigen, Tierschutz zu unterstützen, ist es "möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich", dass sie schließlich die vegane Lebensweise annehmen.

Doch Balluch lässt uns im Unklaren darüber, wie genau diese Transformation vonstatten gehen soll. Stellenweise sieht es so aus, als verföchte er die Ansicht, dass Tierschutzregulierungen Tierprodukte letztlich so teuer machen werden, dass die Leute keine andere Wahl haben, als vegan zu leben. Einmal davon abgesehen, dass dieses Szenario voraussetzt, dass eine Öffentlichkeit, der es nicht um die Abschaffung der Tierausbeutung zu tun ist, regulierende Reformen, von denen Balluch behauptet, sie führten schrittweise zur Abolition, unterstützten wird, erhöht Tierschutz, wie ich unten darlege, im Allgemeinen die wirtschaftliche Effizienz der Tierausbeutung und nicht die Produktionskosten. Und angesichts der Gegebenheiten des "freien Handels" würden, selbst wenn Regulierungen Produktionskosten und Preise steigen ließen, billigere Importe erhältlich sein, um die Nachfrage zu befriedigen.

An anderen Stellen macht Balluch anscheinend geltend, dass Menschen durch die Unterstützung von Tierschutzreformen schließlich erkennen, dass Tiernutzung an sich falsch ist. Das heißt, wenn wir die Leute dazu ermutigen zu glauben, dass die Ausbeutung von Tieren moralisch akzeptabel, weil reguliert, ist, werden sie irgendwann einmal dahin kommen, einzusehen, dass Tiernutzung keinesfalls moralisch akzeptabel ist. Warum denkt Balluch, dass die Bekräftigung der Ansicht, dass Tiernutzung moralisch akzeptabel ist, irgendwann zum Ende von Tiernutzung führen wird? Er ist der Auffassung, dass Tierschutzkampagnen helfen, Menschen für Tierleid zu sensibilisieren. Aber die überwältigende Mehrheit der Menschen akzeptiert bereits und hat sei geraumer Zeit akzeptiert, dass es moralisch falsch ist, Tieren "unnötiges" Leiden zuzufügen. Es gibt keinen empirischen Beleg dafür, dass dies in eine abolitionistische Richtung geführt hätte.

Balluchs Argument dafür, warum Aufklärung "zum Scheitern verurteilt" ist, ist überhaupt kein Argument. Er setzt voraus und zieht eine Schlussfolgerung aus etwas, das erst zu beweisen wäre, wenn er behauptet, dass wir Tierschutz unterstützen müssen, weil wir Tierschutz unterstützen müssen.

Ich finde es schwierig, wenn nicht unmöglich, zu glauben, dass es, wenn die Bewegung sich entschieden hätte, die Hunderte von Millionen (vielleicht Milliarden) Dollar, die sie in den vergangenen Jahrzehnten allein in den USA ausgegeben hat, anstatt in Tierschutzkampagnen darin zu investieren, Veganismus in einer klaren und unzweideutigen Weise voranzutreiben, nicht Hunderttausende mehr Veganer gäbe als es heute gibt. Dies würde das Fundament für eine politische Bewegung schaffen, die einen bedeutungsvollen Schutz tierlicher Interessen, einschließlich Verboten der Nutzung von Tieren, anstreben könnte.

Zuletzt bietet Balluchs Essay ein hervorragendes Beispiel dafür, wie Anwälte der Tiere die vegane Position marginalisieren. Er geht sehr ausführlich darauf ein, wie schwierig es ist, in einer nichtveganen Gesellschaft vegan zu leben. Solange Anwälte der Tiere Veganismus als ein extremes Opfer, das einen zum "Märtyrer" für die Tiere macht, oder als "fanatisch" darstellen, werden sie jedenfalls andere nicht dazu ermutigen, vegan zu werden. Ich bin seit 26 Jahren Veganer. Ich betrachte es als keinerlei Opfer, und die Grundlagen der veganen Ernährung sind nahezu überall verfügbar. Ich bin nicht stärker versucht, Tierprodukte zu essen, weil ich in einer nichtveganen Gesellschaft lebe, als ich versucht bin, irgendetwas anderes zu tun, was ich für moralisch fundamental falsch halte.

Und selbst wenn Balluch Recht hat, dass Menschen daran, dem Veganismus verpflichtet zu sein, nicht immer festhalten, sollte das nicht bestimmen, was unsere Botschaft sein soll. Die Tatsache, dass Rassismus, Sexismus und Heterosexismus in unserer Kultur noch immer grassieren, bedeutet nicht, dass wir unsere Botschaft ändern und diese Formen der Diskriminierung stillschweigend dulden sollten, weil viele Menschen sich noch immer darin betätigen.

Die Unerheblichkeit der Öffentlichkeit

Balluch behauptet, dass die Öffentlichkeit unwichtig im Kampf für Tierrechte sei, weil "(d)er Konflikt um eine Systemänderung in Richtung Ende der Tierausbeutung und Veganismus.. ein direkter politischer Konflikt zwischen Tierrechtsbewegung und Tierausbeutungsseite bzw. Tierindustrie (ist)." Die Öffentlichkeit ist unerheblich; sie "schimmt einfach mit dem Strom und wählt den Lebenswandel des geringsten Widerstands." [2]

Obwohl es sicherlich der Fall ist, dass der Kapitalismus durch das Erzeugen von Konsumwünschen gedeiht, ist die Vorstellung, dass die Tierindustrie der Hauptmotor der Tierausbeutung sei, absurd. Die Tierindustrie existiert, weil die Öffentlichkeit Tierprodukte verlangt. Würde die Öffentlichkeit aufhören, Tierprodukte zu verlangen, würden jene, die Kapital in das Geschäft mit Tieren investiert haben, ihr Kapital woanders anlegen.

Es gibt kaum einen empirischen Anhaltspunkt dafür, dass die Öffentlichkeit irgendeine wirkliche Herausforderung ihrer Möglichkeit, Tierprodukte zu konsumieren, tolerieren würde. Die Öffentlichkeit mag kosmetische Reformen unterstützen, die keinen erheblichen Preisanstieg zur Folge haben, insbesondere wenn billigere Produkte importiert werden können, aber Balluch macht sich etwas vor, wenn er denkt, dass seine Strategie, Veganismus durch Tierschutzreformen gesetzlich zu bewirken, selbst wenn dies praktisch möglich wäre, von der Öffentlichkeit akzeptiert würde, bevor diese von der Immoralität der Tiernutzung überzeugt ist. Die Vorstellung, die Tierrechtsbewegung könne ohne die aktive Unterstützung der Öffentlichkeit den Druck ausüben, der für wesentliche Änderungen notwendig ist, lässt überdies einen tief gehenden Mangel an Verständnis des politischen Prozesses erkennen.

Die wirtschaftliche Wirkung von Tierschutzreformen

Balluch behauptet: "(E)s ist ebenso zumindest möglich – wenn wir auch dazu bisher noch keine statistischen Daten über die Wahrscheinlichkeit haben –, dass sich eine Gesellschaft politisch über den Tierschutz zu Tierrechten entwickelt." Er unterstellt, dass Tierschutzreformen die Tierindustrie schwächen und die Nachfrage nach Tierprodukten sinken lassen, indem diese teurer und dadurch die Menschen veranlasst werden, auf vegane Alternativen zurückzugreifen.

Balluch versteht die Natur von Tierausbeutung und Tierschutzreformen nicht.

Tierschutzreformen schwächen die Tierindustrie im Allgemeinen nicht. Dies ist so, weil Tierschutzreformen Tierausbeutung generell wirtschaftlich effizienter machen und die Tierindustrie tatsächlich stärken. Zum Beispiel hat sich gezeigt, dass Alternativen zum Kastenstand für Schweine und Kälber den Profit für Produzenten erhöhen.

Die aktuelle Kampagne in den USA, die elektrische Betäubung bei der Schlachtung von Geflügel durch ein "Töten in kontrollierter Atmosphäre" [controlled atmosphere killing / CAK] zu ersetzen, gründet sich ausdrücklich auf den wirtschaftlichen Nutzen für Produzenten und Konsumenten. Laut der Hunane Society of the United States (HSUS) führt das Vergasen von Geflügel "zu Kosteneinsparungen und steigenden Einkünften durch verminderte Herunterstufung des Schlachtkörpers, weniger Verunreinigungen und Kühlungskosten, durch Steigerung der Erträge, Qualität und Haltbarkeit des Fleisches sowie Verbesserung der Arbeitsbedingungen."

Laut People for the Ethical Treatment of Animals (PETA) “senkt die Schlachtmethode der elektrischen Betäubung die Produktqualität und den Ertrag, weil die Vögel Knochenbrüche erleiden und das Verfahren in für die menschliche Gesundheit schädlichen Verunreinigungen resultiert." Die Methode der elektrischen Betäubung "erhöht die Arbeitskosten" zudem in verschiedener Weise. PETA argumentiert, dass CAK "Produktqualität und Ertrag erhöht", weil Knochenbrüche, Quetschungen und Blutungen angeblich vermieden, Verunreinigungen vermindert, die "Lagerfähigkeit des Fleisches" erhöht und "zarteres Brustfleisch" produziert wird. PETA macht überdies geltend, dass CAK "die Arbeitskosten senkt" durch das verminderte Erfordernis bestimmter Inspektionen, geringere Unfallhäufigkeit und sinkende Fluktuation. CAK bietet "weitere ökonomische Vorteile" für die Geflügelindustrie, indem das Verfahren Produzenten erlaubt, Geld bei Energiekosten und durch die Reduzierung von Abfallprodukten und Wasserverbrauch zu sparen.

Darüber hinaus können Produzenten einen Spitzenpreis kassieren, indem sie ihr Fleisch als "human" etikettieren, und vielleicht sogar die Unterstützung durch Tierschutzorganisationen erhalten, die verschiedene Etikettierungsmodelle befürworten und sponsern.

Tierschutzreformen beeinflussen die Nachfrage der Konsumenten aus einer Reihe von Gründen nicht. Erstens resultieren die meisten Tierschutzreformen nicht in einer Preissteigerung, die ausreicht, um sich auf den Konsum auszuwirken. Zweitens wechseln Konsumenten nicht in dem Maß, in dem eine Preissteigerung erheblich ist, zu veganen Alternativen, sondern greifen zu billigeren Tierprodukten. Wenn also der Preis für Rindfleisch aus welchen Gründen auch immer steigt, kaufen Konsumenten mehr Geflügel, Schweinefleisch, Lamm oder Fisch. Sie kaufen nicht Tofu. Drittens führt angesichts der Tatsache, dass der größte Teil der Welt heutzutage in Abkommen des "Freihandels" eingebunden ist, ein Preisanstieg für eine Ware in einem Land dazu, dass billige Importe auf den Markt kommen.

Balluchs Beispiele

Die Beispiele, die Balluch liefert, um seine Position zu stützen, tun dies nicht.

Sein Hauptbeispiel hat mit der österreichischen Eierindustrie zu tun. Balluch macht geltend, dass Österreich Legebatteriekäfige dem angenommenen Stichtag der Europäischen Union 2012 vorausgehend verboten hat und dass die Eierproduktion um 35 % gefallen ist. Ich habe nicht vermocht, etwas diese Aussage Erhärtendes zu finden. Laut Statistik Austria [3] betrug die gesamte Eierproduktion in Österreich 89,271 Tonnen im Jahr 2005 und 90,613 Tonnen im Jahr 2006. Das ist eine Steigerung von 1,5 %. Von dieser Gesamtproduktion entfielen 3,510 Tonnen 2005 und 3,902 Tonnen 2006 auf Eier für Brutzwecke. Zieht man diese Zahlen von der Gesamtproduktion ab, betrug die Eierproduktion 2005 85,761 Tonnen und 2006 86,711 Tonnen. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Eiern stieg von 233 Stück 2005 auf 236 Stück 2006. Außerdem sieht es so aus, als importiere Österreich auch mehr Eier. Die Produktionszahlen für 2007 sind auf Statistik Austria noch nicht verfügbar. Ich weiß nicht, woher Balluch seine Zahl von 35 % Rückgang der Eierproduktion nimmt, aber seine Behauptung wird nicht gestützt durch die Zahlen, die ich gefunden habe.

Überdies ist in gewisser Hinsicht das Niveau der Eierproduktion in Österreich irrelevant. Österreich ist Teil der Europäischen Union. Wenn der Eierpreis in Österreich wesentlich ansteigt oder wenn die dortige Produktion die Nachfrage nach Eiern nicht deckt (was der Fall wäre, wenn es zuträfe, dass, wie Balluch sagt, die Eierproduktion um 35 % gesunken ist), werden Eier aus anderen EU Ländern importiert, die noch die konventionellen Batteriekäfige haben. Obwohl die EU angibt, Batteriekäfige von 2012 an zu verbieten, ist die Vorstellung, dass alle EU-Länder dieses Datum einhalten werden, mehr als unrealistisch. Hinzu kommt, dass die EU-Vorschrift "ausgestaltete" Käfige erlaubt, die im Wesentlichen Batteriekäfige sind, welche selbst von moderaten Tierschutzorganisationen abgelehnt werden. Diese Käfige können weiterhin verwendet werden, auch wenn alle EU-Länder der Vorschrift bis 2012 entsprechen sollten. Obwohl Balluch behauptet, dass Österreich auch die "ausgestalteten" Käfige verboten hat, gibt ein anderer Teil seiner Website an, dass "ausgestaltete" Käfige, die vor dem 01.Januar 2005 gebaut wurden, bis 15 Jahre nach ihrer ersten Inbetriebnahme verwendet werden dürften.

Zuletzt unterstellt Balluch, dass "käfig-freie" oder Eier aus "Bodenhaltung" für die Hennen ein wesentlich besseres Leben bedeuten. Das ist ein Mythos. Werfen Sie einen Blick auf das exzellente Informationsmaterial (1, 2), das von Peaceful Prairie Sanctuary zu Eiern aus "Freilandhaltung" herausgegeben wird.

Balluch bietet mehrere andere Beispiele. Er führt das österreichische Verbot von Wildtieren im Zirkus an. Das Problem ist natürlich, dass domestizierte Tiere nach wie vor in Zirkussen in Österreich zugelassen sind; Balluch stellt fest, dass "Pferde, Rinder, Schweine und Hunde" weiterhin in Zirkussen genutzt werden. Vielleicht ist er der Meinung, dass es einen moralischen Unterschied zwischen der Nutzung nicht domestizierter Tiere und der Nutzung domestizierter Tiere gibt. Ich bin anderer Meinung.

Balluch führt das österreichische Verbot von Pelzfarmen an, aber er räumt ein, dass das Verbot "an sich keinen Rückgang im Pelzhandel bewirkt, es wurden eben Pelze aus dem Ausland nach Österreich eingeführt." Balluchs eigene Beobachtung widerlegt seine allgemeine These, dass die Öffentlichkeit irrelevant, dass Aufklärung Zeitverschwendung, dass das Problem der Tierausbeutung ein Konflikt zwischen Tierrechtsbewegung und Tierindustrie ist und dass die Öffentlichkeit einfach "mit dem Strom schwimmt und den widerstandslosesten Lebenswandel wählt". Österreich hat Pelzfarmen verboten. Die Pelzfarmer wurden vom Markt verdrängt, aber der Pelzverkauf in Österreich ist nicht zurückgegangen. Dies beweist in ziemlich überwältigender Weise, dass, wenn die Öffentlichkeit nicht aufgeklärt ist und die Nachfrage nach Tierprodukten fortbesteht, Tiere fortgesetzt ausgebeutet werden. Die Tatsache, dass das eigentliche Töten von Tieren woanders stattfindet, ist irrelevant.

Balluch stellt fest, dass Österreich hat, was er anscheinend als einzigartige straf- und verfassungsrechtliche Gesetzgebung erachtet.
§6 (1) Tierschutzgesetz: Es ist verboten, Tiere ohne vernünftigen Grund zu töten.
§222 (3) Strafgesetzbuch: Es ist verboten, Wirbeltiere ohne vernünftigen Grund zu töten.
Verfassung: Der Staat schützt das Leben von Tieren als Mitgeschöpfe des Menschen.
Balluch ignoriert die Tatsache, dass die Nutzung von Tieren in institutionalisierter Ausbeutung einen "guten Grund", Tiere zu töten, darstellt, soweit es das Gesetz betrifft, und dass dies auch für Österreich gilt, das, soweit mir bekannt ist, kein veganes Land geworden ist. Ihm ist anscheinend unbekannt, dass viele Tierschutzgesetze ähnliche Klauseln enthalten und Österreichs Gesetzgebung in keiner Weise einzigartig ist.

Balluch erwähnt das 2005 in Österreich erlassene Verbot der Verwendung von Menschenaffen in Tierversuchen. Davon agesehen, dass österreichische Tierexperimantatoren die Verwendung von Menschenaffen weitgehend eingestellt hatten, bevor das Gesetz in Kraft trat, wird durch die Vorstellung, Menschenaffen seien mehr "wie wir" als andere Tiere und hätten deshalb Anspruch auf größeren rechtlichen Schutz, der Speziesismus verstärkt und nicht abgebaut. Ich bin natürlich froh darüber, dass Tierexperimentatoren in Österreich keine Menschenaffen für zukünftige Experimente verwenden können, aber ich warne Anwälte der Tiere davor, für ein Gesetz zu kämpfen mit der Begründung, einige Tiere seien wegen ihrer Menschenähnlichkeit gleicher als andere. Empfindungsfähigkeit ist das einzige Kriterium, dass der Personenstatus erfordert.

"Zweigleisiger Aktivismus" = Aktivismus auf dem falschen Gleis

Balluchs Analyse gleicht derjenigen anderer Neuer Tierschützer. Zum Beispiel befürwortet Norm Phelps in einem kürzlich von "Vegan" Outreach in Umlauf gebrachten Artikel, was er "zweigleisigen Aktivismus" nennt, der die Unterstützung von Tierschutzreformen einschließt. Laut Phelps machen diese Reformen die Menschen "sehr viel empfänglicher für die vegane Botschaft". Er behauptet, dass jene, die den abolitionistischen Ansatz verfolgen, theoretische Folgerichtigkeit über praktische Resultate stellen. Wie Balluch unterstellt Phelps einfach, dass Tierschutzreformen die Industrie schädigen. Wie Balluch hat er anscheinend nicht die leiseste Ahnung von der Ökonomie der Tierschutzregulierung.

Zum Beispiel akzeptiert Phelps die Behauptung, dass die HSUS-Kampagne gegen den Kastenstand für schwangere Sauen ein Beispiel einer Anstrengung ist, welche die Fleischprouduzenten "ökonomisch lähmen" wird. Vielleicht sollte Phelps den HSUS-Bericht lesen, dem zufolge EU-Studien darauf hindeuten, dass
die Produktivität von Sauen in Gruppenhaltung höher als in einzelnen Kastenständen ist infolge reduzierter Verletzungsraten und Krankheit, früherer erster Brunst, schnellerer Rückkehr zur Brunst nach dem Abferkeln, geringeren Vorkommens von Totgeburten und kürzerer Abferkelzeiten. Gruppenhaltung unter Einsatz elekronischer Fütterungsmaschinen (electronic sow feeder/ ESF) sind besonders rentabel... Die Umstellung vom Kastenstand auf Gruppenhaltung mit ESF reduziert die Produktionskosten geringfügig und erhöht die Produktivität.
HSUS zitiert Studien, die zeigen,
dass die Gesamtkosten pro verkauftem Ferkel um 0,6 % niedriger in Gruppen/ESF-Systemen sind, während das Einkommen für den Ferkelzüchter aufgrund gesteigerter Produktivität höher ist ... dass, verglichen mit dem Kastensatnd, Gruppenhaltung mit ESF die Arbeitszeit um 3 % verringert, das Einkommen pro Sau und Jahr geringfügig erhöht….[und dass] [E]insparungen in der Sauenzucht an den Mastbetrieb weitergegeben werden können, wo die Kosten pro Gewichtseinheit um 0,3 % sinken. Allein diese Kostenänderung würde sich im Einzelhandelspreis für Schweinefleisch niederschlagen.
HSUS kommt zu dem Schluss:
Es ist wahrscheinlich, dass Produzenten, die Gruppenhaltung mit ESF einführen, die Nachfrage nach ihren Produkten erhöhen oder einen Preisaufschlag verdienen könnten. Eine Umfrage aus dem Jahr 2003 hat festgestellt, dass 77 % der Konsumenten in Iowa Schweinefleischprodukte von Handelsgesellschaften kaufen würden, deren Nahrungsmittel von Lieferanten kommen, die ihre Schweine ausschließlich unter humanen und umweltgerechten Bedingungen produzieren und aufziehen.
Überdies scheinen Balluch und die anderen Neuen Tierschützer nicht zu verstehen, dass wir in einer Welt begrenzter Ressourcen leben. Jeder Dollar und jede Minute, die wir darauf verwenden, Tierschutzreformen voranzutreiben, machen weniger Ressourcen für kreative, gewaltlose Aufklärung über Veganismus verfügbar. Es ist keine Sache von "zweigleisigem Aktivismus", wenn ein Gleis eindeutig das falsche ist.

Letztlich behauptet Balluch, dass ich in Rain Without Thunder die schrittweise Reform des Tierschutzes befürworte, dass ich nur zu beschränkt darin sei, was ich als abolitionistische Reform betrachte. Seine Kommentare suggerieren, dass ich mich für Tierschutzreformen ausspreche, und dies ist unrichtig. In meinem Buch vertrete ich die Auffassung, dass Anwälte der Tiere sich auf Veganismus und gewaltlose aufklärerische Bemühungen konzentrieren sollen, um das Paradigma von Tieren als Eigentum auszuhöhlen. Ich habe argumentier, dass Anwälte der Tiere, wenn sie Reformen verfolgen wollen, zumindest das Verbot bedeutender institutioneller Komponenten der Ausbeutung im Rahmen einer Kampagne verfolgen sollten, die den inhärenten (innewohnenden) Wert von Tieren anerkennt und der Öffentlichkeit ausdrücklich als Teil einer Gesamtanstrengung zur Abschaffung aller Tierausbeutung präsentiert wird.

Balluchs Vorschlag, dies sollte angemerkt werden, wird nicht einmal diesen Kriterien gerecht. Auf der einen Seite macht er geltend, dass "eine Tierschutzreform.. ein Schritt in Richtung Tierrechte (ist), wenn sie die Tierindustrie entscheidend schwächt". [4] Eine solche Kampagne würde nicht zwangsläufig den Kriterien entsprechen, die ich in Rain Without Thunder vorgestellt habe. Auf der anderen Seite scheint er zu behaupten, dass Anwälte der Tiere jede Reform, einschließlich "Human"-Labels für "Bio-Fleisch", unterstützen sollten, weil jede Tierschutzreform vermutlich für mehr Unterstützung für Tierschutz sorgt, welcher, laut Balluch, in Richtung Tierrechte führt. Diese Kampagnen bauen den Eigentumsstatus von Tieren nicht nur nicht ab, sie verstärken ihn.

Fazit:
Es gibt, in einem Wort, nichts Neues an Balluchs Ansatz. Er unterbreitet lediglich das Paradigma des Neuen Tierschutzes, das die Bewegung in den USA und Großbritannien seit den 1990er Jahren beherrscht und nun anscheinend in andere Teile Europas exportiert worden ist.

Die Vorstellung, dass wir Tierschutz fördern müssen, um ihn zu unterminieren, ist absurd und sollte von all jenen verworfen werden, denen es um das Vermitteln einer moralisch bedeutungsvollen Botschaft und um das Erzielen praktischer Resultate zu tun ist.

Der Ansatz des Neuen Tierschutzes fördert keins von beiden. Der abolitionistische Ansatz fördert beides.

Vegan leben ist nicht, wie Balluch und andere suggerieren, eine Sache schmerzvoller Selbstverleugnung und großen Opfers. Es ist leicht, besser für Ihre Gesundheit und besser für den Planeten. Und was das Wichtigste ist, es ist die Anwendung des Prinzips der Abschaffung der Tierausbeutung in Ihrem täglichen Leben.

Wenn Sie nicht dazu bereit sind, vegan zu leben, sehen Sie schlicht der Tatsache ins Auge, dass sie nicht genug Verantwortungsbewusstsein haben, um das zu tun, was zu tun in Ihrer Macht liegt – zu entscheiden, was Sie sich in den Mund stecken, was Sie anziehen und welche Mittel Sie auf Ihrem Körper anwenden. Verschwenden Sie nicht Ihre Zeit und Ihr Geld, um Tierschutzorganisationen zu unterstützen, die Ihnen erzählen, dass ein bestimmter Tiermissbrauch schlimmer als ein anderer ist und dass, wenn Sie ihnen nur einen finanziellen Beitrag zukommen lassen, sie es für Sie in Ordnung bringen.

Nein, dadurch, dass Sie vegan leben, haben Sie nicht die Probleme der Welt gelöst. Sie entfernen sich nicht vollständig von der Tierausbeutung, die jeden Aspekt unseres Lebens durchdringt und selbst im Belag unserer Straßen, in unseren Häusern, Farbanstrichen, Kunststoffen und vielen anderen Dingen gegenwärtig ist. Aber wenn die Mehrheit von uns Tierprodukte von ihrem Teller verbannte und sie anderweitig zu konsumieren aufhörte, würde die Industrie sehr schnell Alternativen zu billigen tierlichen Nebenprodukten finden.

Gary L. Francione
© 2008 Gary L. Francione

Anm. d. Übers.
[1], [2], [4] Wörtliche Übersetzung; die anderen Zitate von Balluch sind der deutschen Version seines Essays entnommen.

[3] deutsche Fassung